SSV Ulm – die beste Abwehr Deutschlands

Die beste Abwehr Deutschlands: SSV Ulm

Nicht aus Dortmund, nicht aus Berlin und auch nicht aus München. Nein, die beste Abwehr Deutschlands kommt in dieser Saison aus Ulm. Lediglich 12 Gegentore kassierte der SSV Ulm nach 20 Spieltagen in der Regionalliga Südwest.  Mit einer Quote von 0,6 Gegentoren pro Spiel ist man hierzulande unerreicht von Bundesliga bis Regionalliga. Einzig der VfB Lübeck aus der Regionalliga Nord kann mit einer Quote von 0,67 annähernd Schritt halten.

Kaum Chancen für Gegner

Was die Defensivleistung der Ulmer allerdings umso beeindruckender macht, ist ein Blick auf die expected goals against (erwartbare Gegentore anhand der Chancenqualität der Gegner). Demnach hätte man sogar noch über ein Gegentor weniger kassieren sollen. Zum Vergleich: der VfB Lübeck sah sich im Glück bei der gegnerischen Chancenverwertung. Statt 15 Gegentoren wären laut expected goals 19 erwartbar gewesen. Daraus ergibt sich ein großer Unterschied bei den erwartbaren Gegentoren pro Spiel. Während die Lübecker Chancen für rund 0,93 Gegentore pro Spiel zuließen, sind es bei den Ulmer Spatzen gerade einmal 0,54. Zwar spielen beide Vereine in unterschiedlichen Ligen und stehen somit nicht in Konkurrenz zueinander. Jedoch verdeutlicht dieser Vergleich, dass die Ulmer Defensivstärke keineswegs auf Glück oder Zufall zurückzuführen ist. Stattdessen hat man sich die geringe Anzahl an Gegentoren durch konsequente Defensivarbeit verdient. Als Lohn steht zur Winterpause die Tabellenführung in der Regionalliga Südwest mit sieben Punkten Vorsprung vor Balingen.



Dank Wörle zurück in den Profi-Fußball?

Dass es gegen den SSV Ulm schwer ist, Tore zu erzielen, ist längst keine neue Erkenntnis. Schon letzte Saison kassierte man nur 30 Gegentore in 36 Ligaspielen. Im direkten Zusammenhang mit der Ulmer Stabilität steht offensichtlich die Verpflichtung von Thomas Wörle als Cheftrainer im Sommer 2021. Der ehemalige Zweitligaspieler war zuvor 9 Jahre lang sehr erfolgreich Trainer der FC Bayern Frauen. Nach zwei Jahren ohne Trainerjob fand der 40-jährige Krumbacher retrospektiv betrachtet sein Glück in der schwäbischen Heimat. Und auch in Ulm ist man sehr überzeugt von der Arbeit des Trainers. Was zum großen Glück noch fehlt? Der Aufstieg in die 3. Liga und die damit verbundene Rückkehr in den Profifußball nach 22 Jahren. Nachdem man letzte Saison mit nur einem Punkt Rückstand hinter Meister Elversberg auf Platz zwei rangierte, soll es im Jahr 2023 nun endlich klappen.

Trotz Umbruch in Ulm: erfahrene Achse

Bevor man diese starke Hinrunde spielen konnte, musste man im Sommer einen großen Umbruch bewerkstelligen. Gleich 29 Kaderbewegungen gab es vor der Saison. Unter den 15 Abgängen waren Spieler wie Beck, Rochelt und Heußer, die nun höherklassig ihre Qualitäten unter Beweis stellen. Doch Wörle schaffte es, die vielen Neuzugänge zu integrieren und erneut eine schlagkräftige Mannschaft zu formen. Hilfreich war hierzu sicherlich eine stabile Achse, auf die der Trainer zurückgreifen kann. Denn die sieben meisteingesetzten Spieler beim SSV Ulm in dieser Saison sind allesamt im besten Fußballeralter zwischen 27 und 32. Umso wertvoller macht diese Achse allerdings, dass fünf dieser sieben Spieler bereits mehr als drei Jahre beim SSV aktiv sind. Diese Kontinuität und Eingespieltheit im Kern der Mannschaft bildet somit das Fundament für die erfolgreichen und stabilen Leistungen der Ulmer.

Defensive Stabilität als Grundpfeiler des Erfolgs

Was nützt all die Erfahrung, wenn die Mannschaft ohne Plan auf den Platz geht? Nach anderthalb Jahren Thomas Wörle beim SSV kann man jedoch eine klare Handschrift des Trainers erkennen.

Zwar wünscht sich Wörle ein selbstbewusstes und dominantes Auftreten seiner Mannschaft, jedoch steht defensive Stabilität als Grundpfeiler des Erfolgs an erster Stelle. Insbesondere das Zentrum soll dicht sein, um dem Gegner wenig Abschlusschancen zu gewähren. Anhand der starken expected goals against-Werte kommt es nicht überraschend, dass man mit nicht einmal 7 Schüssen pro Spiel die wenigsten Schüsse in Deutschlands Regionalligen zulässt. Während die durchschnittliche Torwahrscheinlich eines Torschusses in der Regionalliga bei rund 12% liegt, sind es bei den Gegnern des SSV Ulm nicht einmal 8%. Auch dieser Wert ist mit der Ausnahme Dynamo Dresden in Deutschland unerreicht. Ins Bild dazu passt die starke Zweikampfquote der Ulmer von 65%. Die dicht gestaffelte 3er-Kette, flankiert von den beiden Schienenspieler, verschiebt stets kompakt und lässt dem Gegner nur wenig Lücken. Nur knapp 9 Kontakte kann der Gegner pro Spiel im 16er der Ulmer verzeichnen – der Regionalligadurchschnitt liegt bei über 17.



Defensiv flexibel

Damit der Ball überhaupt erst gar nicht in die Nähe des eigenen 16ers kommt, versucht man phasenweise hoch anzulaufen. Zwar sind 13 hohe Balleroberungen pro Spiel kein Spitzenwert, jedoch trotzdem durchschnittlich drei mehr als der Gegner. Eine ähnliche Sprache spricht der Pressing-Parameter PPDA, der angibt, wieviel Pässe der Gegner spielen darf, ehe der Spielaufbau durch eine Defensivaktion unterbunden wird. Hier liegt man mit durchschnittlich 9,6 zugelassenen Pässen im Regionalliga-Mittel. 12 „Zu-Null-Spiele“ nach 20 Spieltagen unterstreichen nochmals, dass man in Ulm das richtige Timing gefunden hat, wann man welche Form des Verteidigens anwendet.

Fehlende Offensivkraft?

„Die Offensive gewinnt Spiele, die Defensive gewinnt Meisterschaften.“ Diese viel zitierte Floskel hebt nochmals die Wichtigkeit einer starken Defensive hervor. Gleichzeitig verrät sie auch, dass es ohne funktionierende Offensive nur schwer wird, Spiele für sich zu entscheiden. Dass angesichts der überragenden Defensivarbeit die offensive Durchschlagskraft etwas leidet, zeigt ein Blick auf die Performance-Daten der Ulmer beim Spiel mit Ball.

Konterabsicherung bei Ballbesitz

Denn auch beim eigenen Spielaufbau macht sich der Gedanke „Wie verteidige ich am besten das eigene Tor“ bemerkbar. Das bedeutet, dass sich die Spieler bei Ballbesitz (durchschnittlich 52%) so positionieren sollen, um bei Ballverlust wenig Lücken zu offenbaren. Als bestes Beispiel für diese vorausschauende Spielweise dient die Rolle des ballfernen Schienenspielers der Ulmer. Dieser rückt bei Ballbesitz auf der entgegenliegenden Seite weit ins Zentrum, um als zusätzlicher Sechser die Räume im Zentrum abzusichern. Somit unterscheidet man sich von anderen Mannschaften, die den ballfernen Schienenspieler als Anspielstation für einen Seitenwechsel weit außen positionieren. Was im ersten Moment den Ulmern als zusätzliche Offensivoption fehlt, sorgt für Stabilität bei Ballverlust. Nur knapp 20% der wenigen gegnerischen Konter münden in einer Abschlussaktion.

Große Qualität im Angriff

Ohnehin kann man trotz des Defensiv-Gedankens keineswegs von einer schwachen Offensive sprechen. Denn die 37 erzielten Tore in der Regionalliga Südwest werden nur von Homburg, Haiger und der Hoffenheimer U23 überboten. Vielmehr verfügt man über hohe Qualität im Angriff. Nicht selten hört man den gegnerischen Trainer nach dem Spiel von der hohen Effizienz und Eiseskälte des Ulmer Angriffs sprechen. Dies lässt sich auch in Zahlen belegen. Statt laut expected goals erwarteten 28 Toren erzielte man 9 Tore mehr. Entscheidend für eine gute Chancenverwertung ist die Qualität der Abschlussposition, die bei Ulm mit 0,127 xG/ Schuss über dem Regionalligaschnitt liegt. Unterdurchschnittlich ist allerdings die Frequenz der abgegebenen Schüsse mit rund 11 pro Spiel. Grund für die verhältnismäßig wenigen Torschüssen ist sicherlich auch hier der Sicherheitsgedanke. Statt häufig in riskante 1-gegen-1-Duelle zu gehen, setzt man auf verschiedene Stilmittel der Chancenerarbeitung. Sowohl bspw. lange Bälle und Flanken als auch kreative Schnittstellenpässe aus dem Mittelfeld gehören zum Repertoire. Ähnlich wie in der Defensive sind die Ulmer auch in der Offensive in der Lage, verschiedene Werkzeuge einzusetzen.



Mehr Abschlüsse = Aufstieg?

Schlussendlich können Trainer und Mannschaft mit der Performance der Hinrunde sehr zufrieden sein. Lediglich einmal konnte der SSV Ulm bezwungen werden und steht somit verdient an der Spitze der Regionalliga Südwest. Dank der besten Defensive Deutschlands reichen vorne meist nur ein oder zwei Tore (9-mal), um als Sieger vom Platz zu gehen. Die starke Chancenverwertung sollte allerdings auch als Warnung verstanden werden. Schon rein aus mathematischen Gründen wird diese Über-Performance auf Dauer nicht abrufbar sein, weshalb sich die Schussfrequenz in der Rückrunde erhöhen muss. Sollte man dies schaffen und in die defensive Stabilität beibehalten können, spricht wenig gegen die Ulmer Rückkehr in den Profi-Fußball nach 22 Jahren.

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Quellen:
wyscout.com
transfermarkt.de
Steffen Prößdorf, 2018-09-09 Fußball, DFB-Pokal Frauen, FF USV Jena – FC Bayern München StP 5671 by Stepro, CC BY-SA 4.0

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