Throwback: als Ingolstadt mit „geplantem Chaos“ die Bundesliga aufmischte







Als Außenseiter in die Zweitligasaison 2014/15 gestartet, stand am Ende für die Schanzer die Zweitligameisterschaft und der damit verbundene Aufstieg ins Fußball-Oberhaus zu Buche! Doch damit noch lange nicht genug – in der darauffolgenden Saison schaffte es das Team von Ralph Hasenhüttl mit „geplantem Chaos“, die Großen der Liga zu ärgern und am Ende souverän auf Platz 11 einzufahren.
Auch wenn man am 2. Spieltag die Qualität der Bundesliga in Form einer 0:4 Heimniederlage gegen Thomas Tuchels BVB erfahren musste, steckten die Oberbayern zu keiner Sekunde im Abstiegskampf – 1x Platz 12 war die schwächste Platzierung in der gesamten Spielzeit. Den Erfolg verdankte man seinem gut organisierten Spiel gegen den Ball – schließlich gelangen 8 der 10 Saisonsiege ohne Gegentreffer. Zeitgleich war man aber auch sehr offensiv ausgerichtet. Nur der FC Bayern war 2015/16 mehr im Drittel des Gegners aktiv als die Schanzer.

  1. Wäre noch mehr möglich gewesen?
  2. Pressing und Gegenpressing auf Top-4-Niveau
  3. Hasenhüttls Taktik und Spielstil: geplantes Chaos
  4. Der Absturz danach




Wäre noch mehr möglich gewesen?

Die Frage scheint auf den ersten Blick etwas vermessen – schließlich galt der souveräne Klassenerhalt an sich schon als kleines Wunder. Betrachtet man allerdings die „expected Points“ – also die verdienten Punkte nach Chancenqualität – wäre auch durchaus ein Sprung auf die europäischen Plätze realistisch gewesen.

Laut den „expected Points“ belegten die Schanzer Platz 6. Dass es nicht dazu kam, liegt vor allem an der mangelnden Ausbeute der Offensive. Mit 33 erzielten Treffern stellte man den zweitschwächsten Angriff der Liga. Die expected Goals (erwartbare Tore anhand der Chancenqualität) gaben allerdings Möglichkeiten für 10 Treffer mehr her. Neben der schwachen Chancenverwertung war es auch die Qualität dieser, die Luft nach oben offen lies. Fast die Hälfte der eigenen Schüsse wurde aus der Distanz abgegeben, weshalb man am Ende die niedrigste Schussgenauigkeit verzeichnen musste.

Passend dazu ist die Torverteilung der Oberbayern. Außer Moritz Hartmann, der mit 12 Treffern (8 davon per Elfmeter) Toptorjäger war, und Lukas Hinterseer (6 Treffer) konnte sich kein weiterer Spieler vor dem gegnerischen Tor beweisen.

Torverteilung Ingolstadt 15 16
Über die Hälfte der Tore resultierten aus Standardsituationen. Zum Vergleich: beim BVB waren es 17%, bei den Bayern 18%.

 

Pressing und Gegenpressing auf Top-4-Niveau 

Dass man mit nur 42 Gegentoren die vierbeste Defensive der Liga stellte, war nicht dem Zufall geschuldet. Zeitgleich ließ man ebenfalls die viertwenigsten gegnerischen Schüsse zu. Besser schnitten in diesem Bereich nur die Top-Teams der Liga ab, die am Ende auch tabellarisch auf den ersten 3 Plätzen rangierten: Bayern, Dortmund und Leverkusen.

Einen Platz unter den ersten 4 belegten die Schanzer mit den Werten 7,5 bzw. 6,73 auch in den Parametern challenge intensity (Abwehraktionen pro Minute gegnerischen Ballbesitz) und PPDA (gegnerische Pässe pro Defensivaktion). Spitzenreiter war das Team von Hasenhüttl in puncto abgefangene Pässe – aufgrund des raumorientierten Pressings im offensiv ausgerichteten 4-3-3 verzeichneten die Oberbayern nicht nur die meisten Interceptions, sondern auch die meisten Teampressingaktionen im Fußball-Oberhaus.

 

Hasenhüttls Taktik und Spielstil: geplantes Chaos

ehrlichen, laufstarken und kampfbetonten Fußball, der auch begeisternd ist.
Trainer ralph Hasenhüttl über die ingolstädter spielweise.

Nicht nur anhand des durchschnittlichen Ballbesitzwerts von 45,7% lässt sich festhalten, dass Ballbesitz kein zentraler Punkt in Ralph Hasenhüttls Spielphilosophie ist und war. Nur selten fanden die Schanzer spielerische Lösungen und liegen in dementsprechenden Stats wie Passquote, key passes oder smart passes weit hinten im Liga-Ranking. Gleichzeitig verzichteten die Schanzer komplett auf 1-gegen-1 Situationen im eigenen Spielaufbau. Obwohl man ligaweit die meisten Ballverluste hatte, waren es die wenigsten in der eigenen Hälfte. Dies lässt sich unter dem Motto „Risikovermeidung“ verbuchen.

Ziel war es viel mehr – um es salopp zu formulieren – den Gegner auf das eigene Niveau runterzuziehen. Kein Team spielte mehr lange Bälle in der Saison 15/16, Schaltzentrale war ganz klar der zentrale Mittelfeldspieler Pascal Groß, der die meisten Ballaktionen der Schanzer vorwies. Mit seinen guten langen und diagonalen Bällen sollte das Mittelfeld möglichst schnell überbrückt werden.

Zeitgleich bestritten die Schanzer die meisten Kopfballduelle der Bundesliga – nur logisch, schließlich wurden lange Bälle gegen kein anderes Team häufiger geschlagen. Sogar die Bayern hatten mit der physischen und aggressiven Herangehensweise Probleme. Im Rückspiel gewannen die Münchner unter der Regie von Pep Guardiola glücklich mit 2:1. Sowohl der Ballbesitzwert von 59% als auch die Passquote von 82% waren klar der schwächste Wert des Rekordmeisters der Saison.

Dieses „geplante Chaos“ war der Wettbewerbsvorteil des aktuellen Drittligisten – die mit Abstand meisten Ballverluste (130 pro Spiel) waren Teil des Plans, vor allem da man in der Eroberung (Gegner durchschnittlich 138 Ballverluste pro Spiel) die Benchmark der damaligen Saison darstellte.

 

Der Absturz danach

Ralph Hasenhüttl schafft es, mit seiner Art und Weise das Maximum aus dem Kader herauszuholen. Die technisch starken Mathew Leckie und Darío Leczano suchten in der Offensive regelmäßig das Dribbling. Die vielen direkten Duelle sind einer der Gründe, weshalb die Schanzer die meisten Fouls der Saison erleiden mussten, wobei man auch selbst im Karten-Ranking weit vorne rangierte.

Die beiden besten Vorlagengeber im Team waren Pascal Groß und Rechtsverteidiger Danny da Costa, denen Hasenhüttl viel Raum für das Offensivspiel einräumte. Folglich schlugen die Schanzer viele Flanken von der rechten Seite und sorgte auf der linken Seite mit einer defensiveren Besetzung für eine gute Balance. Das fehlende Tempo der Innenverteidiger kompensierte man mit einer sehr hohen und riskanten Abwehrkette, mit der man dank guter Abläufe die Gegner regelmäßig ins Abseits stellen konnte.

7 Saisons später steht Ingolstadt nach Höhen und vielen Tiefen in der 3. Liga. Ralph Hasenhüttl hingegen erlebte seitdem mehr Höhen und trainierte erfolgreich RB Leipzig und zuletzt den Premier League Verein aus Southampton. In der Vereinsführung der Schanzer traf man viele Fehlentscheidungen. So zum Beispiel auch bei der Nachfolge des Österreichers auf der Trainerposition. Mit Markus Kauczinski verpflichtete man einen zuvor beim Karlsruher SC zwar erfolgreichen Trainer, aber mit gegensätzlicher Spielphilosophie. Kauczinskis KSC zeichnete sich durch gute, aber eher passive Defensivarbeit aus. Bei den Schanzern sollte er das aggressive Pressingsystem Hasenhüttls fortführen – und scheiterte gnadenlos.

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Quellen:
transfermarkt.de
wyscout.com
instat.com
whoscored.com
Sandro Halank, Wikimedia Commons, CC BY-SA 4.0, 2020-11-21 Audi Sportpark Ingolstadt by Sandro Halank–7CC BY-SA 4.0
Alexander BöhmRalph Hasenhüttl (2016)CC BY-SA 4.0







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