Olympique Lyon & Peter Bosz: Liebe auf den zweiten Blick?




Enttäuschende Saison von Olympique Lyon

Die Enttäuschung war groß nach der ersten Saison von Peter Bosz bei Olympique Lyon. Der Serienmeister von 2002 bis 2008 hatte sich vor der Saison zumindest eine Annäherung an die Erfolge jener Zeit erhofft. Doch am Ende der Ligue 1-Saison 2021/2022 stand ein ernüchternder 8. Platz für die Lyonnais. Somit bleibt das europäische Geschäft in der kommenden Saison aus.

Schwache Defensive unter Peter Bosz

Einer der Hauptgründe für das Verfehlen der eigenen Ziele lässt sich bereits bei dem ersten Blick auf die Tabelle ablesen: in 38 Ligaspielen kassierte man 51 Gegentore. Mehr Gegentore gab es zuletzt in der Abstiegssaison 1982/1983. Und das obwohl man sich mit Verpflichtung von Jerome Boateng vom FC Bayern für die Abwehrreihe gut gerüstet sah.

Dass Peter Bosz nicht als Verfechter des Defensivfußballs gilt, ist hinlänglich bekannt. Sowohl bei seinen Stationen in Dortmund als auch in Leverkusen suchte der 58-jährige Niederländer die Flucht in die Offensive. Trotz stellenweise attraktivem Offensivfußball fehlte es hin und wieder an Balance. Bei beiden Bundesligaklubs folgte letztendlich die Entlassung.

Fehlende Aggressivität bei Ballverlust

Ähnliche Tendenzen waren ebenfalls in Bosz erster Saison in Lyon zu erkennen. Hierbei offenbarten sich insbesondere Schwächen im Umschaltspiel. Wie üblich für Bosz-Mannschaften hatte auch OL in der vergangenen Saison in der Regel den Ball deutlich häufiger als das Gegenüber. Zwar ist gegen den Grundsatz „solange der Gegner den Ball nicht hat, kann er auch kein Tor erzielen“ zunächst nichts einzuwenden. Entscheidend ist jedoch das Verhalten bei Ballverlust. Obwohl die Spieler von Peter Bosz meist gut strukturiert für schnelles Gegenpressing positioniert waren, zählt Olympique Lyon zu den konteranfälligsten Teams der Ligue 1. Es fehlten Intensität und Aggressivität. Dank „halbgarer“ Balleroberungsversuche Lyons gelang es dem Gegner zu oft die ersten Linie zu überspielen. Die fehlende Intensität zieht sich dabei wie ein roter Faden durch das defensive Umschaltspiel der Lyonnais. Denn auch in puncto Rückwärtsbewegung lässt man oftmals letzte Konsequenz vermissen und kommt nur langsam zurück in die Defensive.  Ist der Gegner bei OLs letzter Linie angelangt, sind die Abstände zu den gegnerischen Angreifern häufig zu groß. Ohne die herausragenden Reflexe von Torhüter Anthony Lopes wären wohl weit mehr als 51 Gegentore möglich gewesen.

Bosz-Style: viel Ballbesitz

Doch ebenso wie nicht alles gut war, war auch nicht alles schlecht. So konnte Bosz die Mannschaft in Sachen Ballbesitz weiterentwickeln. Nur Meister Paris und Vizemeister Marseille hatten mehr Ballbesitz als die Bosz-Elf (57%). Dabei lässt Bosz seine Mannschaft meist in einer 2-2-Struktur das Spiel aufbauen. Während ein Außenverteidiger sich als Passoption in die Breite bewegt, fungiert sein Pendant als einrückende Konterabsicherung.  Mit gepflegten Ballstafetten durch das spielstarke Mittelfeld gelang der Durchbruch ins letzte Drittel. Dort konnten die Offensivkräfte um Dembele, Toko Ekbambi, Paqueta und dem blitzschnellen Tete ihre individuelle Klasse ausspielen. Trotz des Abgangs von Sturmführer Memphis Depay zum FC Barcelona stellte man 66 Toren die drittbeste Offensive Frankreichs.



Neuaufbau in Lyon mit Bosz

Obgleich dem schwachen Abschneiden halten die Verantwortlichen um Präsident Aulas weiter an Peter Bosz fest. Er sein sehr guter Trainer und der richtige Mann, um den Neuaufbau weiter voranzutreiben. Dass Bosz einen klaren Plan verfolgt, konnte man bei all seinen Trainerstationen feststellen. Je mehr Zeit man ihm gibt, desto reibungsloser erfolgt die Umsetzung durch die Mannschaft. Apropos Mannschaft: ohnehin besitzt OL über die beiden Rückkehrer Lacazette und Tolisso hinaus einen sehr interessanten Kader. Dennoch gibt es die ein oder andere Baustelle.

Offensive: Torjäger & Rekordtorjäger

Alles andere als eine Baustelle scheint die Sturmspitze von OL zu sein. Mit 21 Toren in 30 Spielen ist der 25-jährige Moussa Dembele eine mehr als zuverlässige Sturmspitze. Unterstützt wird er in der kommenden Saison von Rückkehrer Alexandre Lacazette. Nach 5 Jahren bei Arsenal ist der Rekordtorschütze der Lyonnais zurück an seinem Geburtsort. Noch als Knipser gegangen ist Lacazette heutzutage eher als spielender Stürmer bekannt. Gerne bedient der 31-jährige die Halbräume und füttert seine Mitspieler mit freien Räumen und Vorlagen. Nicht unwahrscheinlich, dass Lacazette bei OL eine ähnliche Rolle hinter Dembele in Bosz‘ favorisierten 4-2-3-1 einnehmen wird.

So könnte OL 2022/2023 spielen.
So könnte OL 2022/2023 spielen.



Für Explosivität auf dem Flügel dürfte der brasilianische Rechtsaußen Tete sorgen. Erst im März kam der 22-jährige Sprinter aus Donezk und wird Lyon für ein weiteres Jahr erhalten bleiben. In 9 Ligue 1-Einsätzen war der Dribbler bereits an 7 Toren direkt beteiligt.

Fraglich ist der Verbleib von Leistungsträger Lucas Paqueta. Bei der richtigen Ablösesumme will man dem offensiven Mittelfeldspieler wohl keine Steine in den Weg legen. Allerdings wäre Peter Bosz sehr an einem Verbleib des 24-jährigen interessiert. Auch im Hinblick auf die WM könnte eine weitere Saison in Lyon für Paqueta durchaus Sinn machen. Doch die Zeichen stehen tendenziell auf Abschied.

Zumal auch Toko-Ekambi auf der Verkaufsliste von OL stehen soll, besteht Handlungsbedarf auf der linken Seite. Hierbei könnte der 23-jährige Cody Gakpo von PSV Eindhoven Abhilfe schaffen. In 27 Ligaspielen war der Linksaußen an 25 Toren direkt beteiligt. Gerüchten zufolge soll OL stark an einer Verpflichtung von Bosz‘ Landsmann interessiert sein.

Und dann wäre da noch Top-Talent Rayan Cherki. Mit seinen 18 Jahren hat der Offensivmann bereits 63 Einsätze (9 Tore / 10 Vorlagen) für die Lyonnais auf dem Konto. Zuletzt war der vielumworbene U21-Nationalspieler Frankreichs durch einen Mittelfußbruch außer Gefecht. In Lyon hält man weiterhin große Stücke auf das Talent und hofft auch den Durchbruch in der kommenden Saison.

Mittelfeld: spielstarke Achter

Nach dem ablösefreien Transfer von Corentin Tolisso besteht vor allem im zentralen Mittelfeld ein Überangebot bei OL. Dass der Neuzugang vom FC Bayern auf dieser Position gesetzt ist, steht nicht zur Debatte. Ohne die große Anzahl von Verletzungen würde „Coco“ wohl zu den besten Box-to-Box-Spielern Europas zählen.

Als Herz im Mittelfeld Lyons gilt der 22-jährige Maxime Caqueret. Der technisch beschlagene Achter ist nahezu überall auf dem Feld zu finden. Durch seine Pressingresistenz erinnert das Eigengewächs an Frenkie de Jong. Doch auch gegen den Ball ist er sich keiner Aufgabe zu Schade, geht früh ins Pressing und wirft sich in jeden Zweikampf.

Als klassischer Abräumer vor der Abwehr fungiert Thiago Mendes. Als Backup wurde der junge Franzose Lepenant verpflichtet. Da Bosz nur selten das Risiko scheut, könnten beide zunächst auf der Bank Platz nehmen.

Für Eigengewächs Houssem Aouar scheint die Zeit in Lyon nach 13 Jahren in diesem Sommer zu Ende gehen.

Defensive: fehlender Abwehrchef

Bei all den Problemen gegen den Ball konnten sich dennoch zwei Eigengewächse in die erste Elf spielen. Insbesondere in der Rückrunde stand der 19-jährige Innenverteidiger Castello Lukeba bei Lyon auf dem Feld. Fehlte es der Mannschaft meist an Aggressivität, wusste Lukeba mit dieser zu glänzen. Aber nicht nur gegen den Ball überzeugt Lukeba. Ganz nach dem Geschmack von Peter Bosz verleiht Lukeba durch seine Ballführungen und Pässe dem Spiel OLs Vertikalität.

Lukebas Partner für die Innenverteidigung ist derweil noch offen. Nach internen Querelen scheint Jerome Boatengs Gastspiel bei Lyon nach nur einem Jahr beendet. Als Nachfolger wird Issa Diop von West Ham United gehandelt. Der 1,94-große Abwehrmann verlor zuletzt seinen Stammplatz in England und könnte neben Lukeba als Abwehrchef zu alter Stärke finden.




Neben Lukeba konnte ein weiterer Defensivspieler aus der eigenen Jugend in den Fokus rücken. Dem 19-jährigen Malo Gusto gelang es Kapitän Leo Dubois den Platz auf der Rechtsverteidigerposition streitig zu machen. Dass der Brasilianer eine gelernte Offensivkraft ist, fällt sofort auf. Durch seinen Drang nach vorne belebt er das Angriffsspiel von OL. Doch im Spiel gegen den Ball offenbart der Youngster im Vergleich zu Routinier Dubois Schwächen. Dennoch entschied sich Bosz – wie so oft – für die offensivere Option.

Nachdem man bei Tyrell Malacia (Manchester United) abblitze, soll Nico Tagliafico der neue Linksverteidiger bei der Lyonnais werden. Tagliafico ist sehr aktiv auf der linken Seite und sucht bei Ballverlust sofort das Gegenpressing.

Im Tor ist man – wie eingangs bereits erwähnt – mit Anthony Lopes bestens aufgestellt. Bereits seit 9 Jahren hütet der Portugiese das Tor der Lyonnais und wird auch in der kommenden Saison einen sicheren Rückhalt darstellen.

Bosz in der Pflicht

Grundlage einer jeden Beziehung ist Vertrauen. Und das genießt Bosz bei OL. Nichtsdestotrotz wird es eine richtungsweisende Saison für Verein und Trainer. Während der Verein nicht den Kontakt zur Königsklasse abreißen lassen möchte, ist Peter Bosz gezwungen zu liefern. Zwar konnte man erste positive Ansätze erkennen, jedoch fehlt die Balance zwischen Angriff und Abwehr. Die Rückkehr von Tolisso und Lacazette könnte zur Entwicklung der vielen Eigengewächse beitragen. Zudem ist man durch den Einstieg eines Amerikanischen Geschäftsmann finanziell solide aufgestellt. Dass man den Kader nicht nach den eigenen Vorstellungen gestalten könne, ist somit ausgeschlossen. Umso größer ist die Erwartungshaltung. Sollte auch in diesem Jahr die Champions League in weite Ferne rücken, könnte es zu einer Beendigung der Zusammenarbeit kommen. Findet Bosz allerdings die Balance zwischen attraktivem Offensivfußball und einer aggressiven Rückwärtsbewegung, so könnte der Weg zurück in die Königsklasse gelingen.

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Beitragsbild (zusammengeschnitten) bestehend aus:
Zakarie Faibis, OL-Angers Groupama Stadium 11, CC BY-SA 4.0
Светлана Бекетова, Rostov-Ajax (8), CC BY-SA 3.0
Fars Media Corporation, Alexandre Lacazette at Baku before 2019 UEFA Europe League Final, CC BY 4.0
Sven Mandel, Corentin Tolisso 2019, CC BY-SA 4.0

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