Inhalt:
1. Woher die Skepsis?
2. Hat sich Bruno Labbadia weiterentwickelt?
3. Mögliche Aufstellung
4. Quo vadis VfB Stuttgart?
Woher die Skepsis?
Bereits als die ersten Gerüchte um eine Rückkehr von Bruno Labbadia ins Schwabenland kursierten, machte sich Skepsis breit in der VfB-Anhängerschaft. Für viele Außenstehende unverständlich – schließlich steht Labbadia doch für kurzfristigen Erfolg und eine guten Quote im Abstiegskampf, in welchem sich die Stuttgarter schließlich befinden. Die Gründe für die Ablehnung der VfB-Fans sind vielschichtig.
1: Wehrle – Wohlgemuth – Mislintat
Ein großer Faktor ist sicherlich die derzeitige Personalkonstellation in der Führungsebene. Aufgrund von Differenzen trennte man sich erst kürzlich vom beliebten Sportdirektor Sven Mislintat, den die Fans sogar mittels einer Petition zum Bleiben überreden wollten. Vorstandsvorsitzender Alexander Wehrle, Nachfolger von Thomas Hitzslperger, gibt dabei nicht die glücklichste Rolle ab. Von einem abgekarteten Spiel ist im Umfeld die Rede und Wehrle dadurch alles andere beliebt im „Ländle“. Mislintat Nachfolger wird Fabian Wohlgemuth, der zuvor in Paderborn gute Arbeit leistete. Seine Verpflichtung, kurz vor der Bekanntgabe Labbadias, sollte vermutlich nur den Eindruck erwecken, dass dieser in die Verpflichtung des alten und neuen VfB-Trainers eingebunden sei. Auch wenn sich Wohlgemuth und Labbadia aus gemeinsamen Wolfsburger Zeiten kennen, darf dies bezweifelt werden. Schließlich kursieren die Gerüchte um eine Rückkehr Labbadias schon länger.
2: Talentförderung – Causa Kimmich
Beim vor einigen Jahren eingeschlagenen Stuttgarter Weg stand stets die Jugend im Mittelpunkt. Bruno Labbadia trat bis dato nicht wirklich als Talentförderer in Erscheinung. Noch heute nimmt man der damaligen Führungsetage rund um Fredi Bobic und jenem Labbadia den Abgang von beispielsweise Bernd Leno und Joshua Kimmich übel – durchaus verständlich. Wie bereits erwähnt, fiel Labbadia aber auch nach seiner Zeit beim VfB nicht als großer Entwickler von Talenten auf. Da der Kader der Schwaben sehr jung ist, kommen schon früh dahingehende Zweifel auf.
3: Unattraktiver Fußball
Ein weiterer Grund für die Skepsis der Stuttgart Fans ist der unattraktive Fußball zu Labbadias erster Amtszeit. Viele lange Bälle und wenig Lösungen im eigenen Ballbesitz sind den meisten Anhängern noch in Erinnerung. Nach Tim Walter und Pellegrino Matarazzo ist man – zumindest stilistisch – Besseres gewohnt.
4: Zur falschen Zeit am falschen Ort
Auch wenn Labbadia in seiner ersten Amtszeit mit dem geschafften Klassenerhalt, Platz 6 und dem DFB-Pokalfinale auch gute Zeiten erlebte, freuen sich nur die wenigsten Fans über seine Rückkehr. Die Missgunst richtet sich mehr gegen die derzeitige Personalentwicklung der Schwaben als gegen Bruno Labbadia an sich. Dass man ihn so negativ in Erinnerung hat, liegt auch an der damaligen turbulenten Zeit, in der man vor allem aus finanzieller Sicht und in Sachen Außendarstellung viele Fehlentscheidungen traf.
Hat sich Bruno Labbadia weiterentwickelt?
Ich glaube, ich bin heute der beste Trainer, der ich je war, weil die Erfahrung einfach unfassbar wichtig ist.
– Bruno Labbadia, Mai 2020
Die Frage ist – wie berechtigt ist die Skepsis der VfB-Fans? Labbadia trainierte seitdem den HSV, die Wölfe und zuletzt die Hertha. Der Erfolg? Gemischt. Die Hamburger Amtszeit lässt sich als ordentlich bis gut bezeichnen. In einer nahezu aussichtslosen Lage übernahm er das Team im Abstiegskampf und führte sie in der Relegation über den KSC zum Klassenerhalt. Im Jahr darauf konnte man mit Platz 10 eine gute und sorgenfreie Saison spielen, bevor es nach einem Fehlstart und persönlichen Differenzen zur Trennung kam.
Ja!?
Im Anschluss daran heuerte Labbadia beim VfL Wolfsburg an – der vielleicht größte Erfolg seiner Trainerkarriere. Erneut schaffte er den Klassenerhalt über den Umweg Relegation. Die darauffolgende Saison wird allen Labbadia-Kritikern weniger gefallen. Der sonst für pragmatischen Ergebnisfußball bekannte Labbadia setzte auf einen relativ dominanten Spielstil – mit Erfolg!
Wert (pro Spiel) | Parameter (Saison 18/19) | Platz im Ligavergleich |
55 | Punkte | 6 |
62 | Tore | 6 |
54,5% | Ballbesitz | 4 |
6,8 | Challenge Intensity | 2 |
10,5 | PPDA | 5 |
10,3 | Ballrückeroberungen in gegnerischer Hälfte | 4 |
47% | Pressingeffizienz | 2 |
46 | Interceptions | 2 |
Einige der Daten lassen bereits erahnen, in welche Richtung der Fußball bei den Wölfen ging. Labbadia legte viel Wert auf ein funktionierendes Positionsspiel, das er auch immer wieder am Gegner anpasste. Wolfsburg agierte taktisch flexibel und wechselte zwischen einem offensiven 4-3-3 und der Mittelfeldraute. Die Basis für den Erfolg war das aggressive Spiel gegen den Ball. Mit einem hohen und raumorientierten Pressing störte man den Gegner schon früh im Spielaufbau. Der hohe Ballbesitzanteil resultierte folglich mehr durch viele Balleroberungen als durch die eigene Passqualität. Im Spiel nach vorne suchte man vermehrt die Flügel (75% der Angriffe über außen) und kam nicht von ungefähr 12x nach Flanke zum Torerfolg.
Zur Wahrheit gehört aber auch, dass der starke Wout Weghorst einen großen Anteil an der tollen Torausbeute hatte. Aus Chancen für 51 expected Goals erzielte die Offensive starke 62 Tore. Auch im Wert expected Points konnte man dadurch überperformen – knapp 10 Punkte weniger als die tatsächlichen 55 hätte man sich demzufolge „verdient“. Dennoch bleibt festzuhalten, dass Labbadia den VfL wieder nach Europa führte – nachdem man zuvor zweimal den Gang in die Relegation antreten musste.
Doch nicht?!
Die nächste Station führte Labbadia in die Hauptstadt zur Hertha. Erneut waren seine Retterfähigkeiten gefragt – erneut konnte er sie nachweisen, vor allem indem er die Defensive stabilisierte. Die zweite Saison verlief allerdings enttäuschend. Mit Cunha, Guendouzi, Lukebakio, Cordoba & Co. verfügten die Herthaner zwar über viel Qualität, hatten aber zugleich eine Ansammlung von schwierigen Charakteren, die Labbadia nicht bändigen konnte.
Er versuchte, ein ballbesitzorientiertes System (über 54% im Schnitt) zu implementieren – ohne Erfolg. Im 4-3-3 setzte er auch auf das falsche Personal. Tousart agierte auf der „8“ und konnte offensiv keinerlei Impulse setzen. Auf der „6“ spielte mit Niklas Stark ein ordentlicher Innenverteidiger, der aber für diese Position die falsche Wahl war. Guendouzi war der einzige spielstarke Mann im Mittelfeldzentrum. Die Folge war ein uninspiriertes Spiel, das einzig und allein durch Cunhas Qualität für offensive Glanzmomente sorgen konnte. Gepaart mit einer hohen Konteranfälligkeit. Als Konsequenz wurde Bruno Labbadia nach 18 Spielen auf Platz 14 liegend entlassen. Besser wurde es seitdem bei der Hertha aber fairerweise auch nicht.
Mögliche Aufstellung
Bruno Labbadia wird versuchen, der Mannschaft mit einfachen taktischen Kniffen Stabilität zu verleihen. Er steht für kompakte und laufstarke Teams schon kurz nach Amtsübernahme. Jene Laufstärke und Spitzigkeit ging dem VfB in der Vergangenheit häufig ab, hier ist schon bald Besserung zu erwarten. Gegen den Ball wird man auf ein solides Mittelfeldpressing setzen. Mit dem Ball wird Vertikalität an erster Stelle stehen – durchaus gegensätzlich zum bisherigen Ansatz. Auch das Spielerprofil für verschiedene Positionen wird sich verändern.
Quo vadis VfB Stuttgart?
Unter Mislintat und Matarazzo/Wimmer war zweifelsohne auch nicht alles Gold, was glänzt. Schließlich kann man Fehler in der Kaderplanung nicht wegdiskutieren – über allem steht aber der Zwang, Transfereinnahmen erzielen zu müssen: über 51 Millionen Überschuss stehen alleine in den zwei vergangenen Saisons zu Buche. Dass ein klarer Plan verfolgt wurde, kann man hingegen nicht bestreiten. Der Fokus auf Nachhaltigkeit kann bei den aktuellen Entwicklungen stark angezweifelt werden. Der ansonsten so klamme VfB stattet Labbadia und dessen komplettes Team mit einem Vertrag bis 2025 aus – die Fragezeichen der Fans sind durchaus verständlich.
Dennoch tut man gut daran, Bruno Labbadia als Trainer nicht kleiner zu reden als er ist. Trotz vieler kniffliger Aufgaben ist er noch nie abgestiegen. Beim HSV und in Wolfsburg hatte er auch in seiner zweiten Saison Erfolg. Vielleicht ist es genau der „simplere“ Fußball, der den Spielern, die unter Matarazzo teilweise taktisch überfordert wirkten, zur nötigen Klarheit und Stabilität verhilft. Demgegenüber steht aber die berechtigte Angst vor dem wiedereinkehrenden „Hire & Fire“ Prinzip, das man dachte, hinter sich gelassen zu haben.
Es bleibt auf jeden Fall spannend beim VfB Stuttgart. Man wird hoffen, dass sich Labbadia nicht in die Rückholaktionen um Veh, Hleb, Didavi & Co. einreiht. In diesem Fall hieße es am Ende einmal mehr „am Arsch geleckt„.
Dir hat unser Beitrag gefallen? Dann lass doch gerne eine Kleinigkeit für unsere Kaffeekasse da und unterstütze ein junges Fußball-Magazin via PayPal:
[paypal-donation]
Danke für deinen Support!
Schau auch gerne mal bei Social Media vorbei und begleite uns auf unserem Weg:
Facebook – Instagram – Twitter
Quellen:
transfermarkt.de
wyscout.com
instat.com
whoscored.com
Frank Schwichtenberg, Bruno Labbadia – Tag der Legenden 2016 01, CC BY-SA 3.0