Historischer Downfall! Botafogo FR Analyse – Serie A

Botafogo: 12 Punkte Vorsprung in der Serie A verspielt

Dass Botafogo vor dem anstehenden letzten 38. Spieltag der brasilianischen Serie A nicht mehr Meister werden kann, ist wohl einer der verrücktesten Niedergänge innerhalb einer Saison in der Fußballgeschichte. Der inzwischen nur noch fünftplatzierte 2-fache Meister verspielte nämlich auf fast schon tragische Art und Weise seine 31 Spieltage währende Tabellenführung. Von den ersten 15 Spieltagen konnte der Verein aus Rio de Janeiro überragende 13 Spiele gewinnen und stand mit 12 Punkten Vorsprung an der Tabellenspitze. Nachdem man in den 6 darauffolgenden Spielen ungeschlagen blieb, konnte man den Vorsprung nach 21 Spieltagen mit 11 Punkten weiterhin hochhalten. Eine mögliche Meisterschaft schien nur eine noch nie dagewesene Misere verhindern können. Und tatsächlich ging bei Botafogo seit Spieltag 22 so gut wie nichts mehr. Aus den vergangenen 16 Spielen konnte man lediglich zwei Spiele gewinnen, womit man in dieser Phase die drittschwächste Ausbeute aller 20 Teams in Brasiliens erster Liga vorweisen kann.

Dramatische Wendungen für Botafogo

Nichtsdestotrotz schien es zwischenzeitlich so, als könnte man am 31. Spieltag den Bock umstoßen und doch eine souveräne Meisterschaft feiern. Im Spitzenspiel gegen den Tabellenzweiten Palmeiras führte man zur Halbzeit 3:0. Ein Sieg hätten 10 Punkte Vorsprung auf den Konkurrenten bedeutet. Doch tatsächlich gab man den sicher geglaubten Sieg noch her und musste schließlich in der Nachspielzeit das bittere 3:4 hinnehmen. Der nächste Nackenschlag folgte nur 2 Spiele später, als man wieder mal gegen den Zweitplatzierten, diesmal Luis Suarez‘ Gremio, antrat. Auch in diesem Heimspiel gab man das Spiel her und verlor nach 3:1-Führung zum zweiten Mal auf bitterste Art und Weise mit 4:3. Am darauffolgenden Spieltag 34 kassierte man in der 6. Minute der Nachspielzeit das 2:2 gegen Bragantino und verlor somit erstmals seit dem 3. Spieltag die Tabellenführung. Spätestens jetzt war Botafogo mental gebrochen und steht heute, einen Spieltag vor dem Saisonende und mit 10 Spielen in Folge ohne Sieg, hoffnungslos auf dem fünften Tabellenplatz. Selbst zwei Trainerwechsel nach dem 25. und 34. Spieltag konnten den Abwärtstrend nicht mehr stoppen.

Gründe für den Absturz Botafogos?

Auf der Suche nach Faktoren für diesen historischen Downfall, der wohl nur begrenzt rational begründbar ist, landet man beim Umgang mit dem im Saisonverlauf wachsenden Favoritenstatus. Schließlich galt der Aufsteiger von 2021 nach einem soliden 11. Rang in der Vorsaison nicht zwingend als Meisterschaftsfavorit. Dementsprechend konnte man auch an den ersten 21 Spieltagen, an denen man 51 von 63 möglichen Punkte holte, befreit aufspielen.

Umschaltfußball & Overperformance zu Saisonbeginn

Mit durchschnittlich 46% überließ man zunächst dem Gegner das Spiel und wartete auf Umschaltaktionen. Mit vielen, schnellen Angriffen durchs Zentrum zählte man zu den konterstärksten Teams der Liga. Die noch etwas höherstehenden Abwehrketten des Gegner waren für Botafogo damals noch deutlich leichter zu überspielen. Zudem war man sehr effizient vor dem Tor und erzielte mehr Tore als nach Expected Goals erwartet. Gleichzeitig profitierte man in der Defensive von der Ineffizienz der gegnerischen Stürmer sowie einem hervorragend aufgelegten Torhüter Lucas Perri. In Sage und Schreibe 13 von 21 Spielen konnte er die Null halten. Auch wenn Botafogo in dieser Phase mit guten Leistungen überzeugte, überperformte man bei der Punkteausbeute deutlich.

Probleme mit der Favoritenrolle

Da insbesondere die Offensivreihe um Sturmführer Tiquinho Soares, der 13-mal in den ersten 17 Spielen netzte, begeisterte, stellten sich die Gegner auf den Tabellenführer ein. Im Vergleich zu den ersten 21 Spielen stieg die Ballbesitzquote von Botafogo von Spieltag 22-37 auf 51%. Folglich musste man in einigen Spielen selbst die Initiative übernehmen, womit man offensichtlich nicht klarkam. Die durchschnittlich 35 Pässe, die man nun mehr pro Partie spielte, waren fast ausschließlich Querpässe (+32 pro Spiel). Zu selten fand man kreative Lösungen durchs Zentrum, weshalb viele Angriffe in einer Flanke (+36% mehr) endeten. Obwohl man sogar mehr Abschlüsse verzeichnete, sank die Qualität der Chancen, da man selten in aussichtsreiche Positionen kam. Weil man mit zunehmenden Ballbesitz weniger Defensiv-Aktionen und somit Umschaltmomente erzwingen konnte, fand die Konterstärke vom Saisonstart deutlich weniger Anwendung. Auf der anderen Seite war man gegen den Ball aus dem Spiel und bei Konterangriffen des Gegners anfälliger. Da nun auch das Gegenüber seine Torchancen nutzen, wurde die anfangs starke Overperformance zu einer Underperformance. Nachdem Botafogo an den ersten 21 Spieltagen rund 0,8 Punkte mehr pro Spiel als laut Expected Points erwartet holte, verlor man ab Spieltag 22 über 0,1 Punkte pro Spiel. Nicht nur die Leistung, sondern auch das Spielglück ging deutlich zurück, wie schon die dramatischen und späten Gegentore zeigten.

Fußball: historisch & grausam

Letztendlich zeigt dieses Beispiel, dass Daten auf längere Sicht nicht lügen. Die starke Overperformance zu Beginn holte Botafogo im Saisonverlauf ein. Laut Expected Points dürfte man derzeit in der Tabelle sogar nur auf Rang 9 stehen. Nichtsdestotrotz ist ein solch krasser Kontrast bei der Punkteausbeute innerhalb einer Saison keinesfalls erwartbar und auch nicht vollends erklärbar. Schließlich gab es einige Spiele, in der wohl nur wenige Sekunden den Saisonverlauf entscheidend beeinflussten. Doch genau diese Wendungen machen den Fußball so interessant – oder aus Sicht von Botafogo so grausam.

Quellen:
wyscout.com
xvalue.ai
transfermarkt.de
theanalyst.com
fbref.com
Donatas Dabravolskas, Contrasts of Rio de Janeiro – Rocinha, Ipanema, and Mountains at Sunrise, CC BY-SA 4.0

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