Innerhalb weniger Tage und einiger enttäuschender Ergebnisse kippte die Stimmung rund um Xavis Barcelona. Ballorientiert analysiert die bisherige Saison der Hauptstadt Kataloniens – was sind die Gründe für den Einbruch? Bei uns erfahrt ihr die Antwort.
Ich habe das Gefühl, dass wir uns in einer negativen Dynamik befinden.
Barcelona-Trainer Xavi nach der Niederlage im Clásico.
- Auftakt nach Maß
- Verheerende Länderspielpause
- Legenden im Tief
- Taktik & Co: Hier muss Xavi ansetzen
- Formdelle oder mehr?
Auftakt nach Maß
Dienstag, 4.10.22 – voller Vorfreude sehen die Barcelona Anhänger dem Auswärtsspiel in der Champions League bei Inter Mailand entgegen. Keine zwei Wochen später herrscht Tristesse rund um die Blaugranas. Dabei hätte die Saison für die Katalanen kaum besser starten können. Trotz des 0:0 im Ligaauftakt gegen Rayo Vallecano dachte man zwischenzeitlich, das Team von Xavi sei kaum zu stoppen. Auch die mehr als unglückliche Niederlage bei den Bayern änderte nichts daran – abgesehen von dieser Partie gelangen dem Team 7 Siege in Folge, mit mitunter begeisterndem Fußball.
Auch ein Blick auf die Daten zeigt, dass der zelebrierte Fußball stark an die dominanten und glorreichen Zeiten alter Tage erinnert. Mit knapp 65% Ballbesitz im Schnitt haben in Europas Top-5 Ligen nur Peps City und die Münchner Bayern minimal öfter den Ball. Die Abwehr steht mit durchschnittlich 52 Metern am weitesten weg vom eigenen Tor und damit am höchsten in Europas Top-Ligen – ein klares Indiz für die offensive Spielweise. Auch in Sachen Durchschlagskraft ist – oder war? – man auf dem richtigen Weg. Die meisten Pässe in das letzte Drittel, viele Ballkontakte im gegnerischen Sechzehner und eine hohe Quote an Schüssen auf das gegnerische Tor belegen dies. Dass man zudem die vierbeste Passquote Europas vorweist, unterstreicht die Dominanz des 26-fachen spanischen Meisters.
Verheerende Länderspielpause
Zwei Wochen nach dem Spiel im Giuseppe-Meazza-Stadion ist die Stimmung ins Negative gekippt. Das Ausscheiden in der Champions League droht und in der Liga musste man nach der Niederlage gegen Real Madrid dem Rivalen die Tabellenspitze überlassen. Eine Entwicklung, die zwar überrascht, aber nicht komplett aus dem Nichts kommt.
Links: Vor der Länderspielpause (8 Spiele) und rechts: nach der Länderspielpause (5 Spiele) zeigen klare Unterschiede in den wichtigen statistischen Parametern, alles pro Spiel.
Ersten 8 | Spiele | Letzten 5 |
2,375 | Punkte pro Spiel | 1,4 |
2,88 | Tore | 1,2 |
2,96 | Expected Goals | 1,97 |
0,5 | Gegentore | 1,4 |
0,74 | Expected Goals against | 1,2 |
18,38 | Schüsse | 14,81 |
41,47 | aufs Tor [%] | 33,59 |
31,08 | Positionsangriffe mit Abschluss [%] | 23,65 |
65 | Ballbesitz | 62.52 |
580,5 | Pässe | 608,2 |
169,75 | Pässe nach vorne | 168 |
15,75 | Flanken | 24,4 |
Ein Vergleich der beiden Zeiträume lässt den Leistungsabfall schnell klar werden. Offensiv ungefährlicher und vor allem unpräziser, defensiv dafür deutlich anfälliger. Zwar spielt man etwas mehr Pässe, kommt aber dennoch seltener gefährlich vor das gegnerische Tor. Zu oft agiert man derzeit mit Flanken, die nur für wenig Gefahr sorgen.
Verletzungspech ist sicherlich einer der Faktoren für die zuletzt enttäuschende Form. Vor allem in der Innenverteidigung und rechts hinten offenbart man erhebliche Defizite. Das Fehlen von unter anderem Christensen, Araújo, Bellerín und Koundé (mittlerweile wieder fit) machte sich bemerkbar. In erster Linie fehlt das Tempo für die hochstehende Kette, die zuletzt viel Raum zu verteidigen hatte und damit sichtlich überfordert wirkte.
Legenden im Tief
Ein weiterer Faktor für die – vor allem gegen starke Gegner – schwachen Leistungen ist die Formschwäche der vier Kapitäne der Katalanen.
Sergio Busquets: Gegen schwächere Gegner nach wie vor absoluter Taktgeber und Ballmagnet. Gegen Top-Teams zuletzt mit erheblichen Schwächen im defensiven Umschaltspiel und ungewohnten Abspielfehlern.
Sergi Roberto: Dass er nominell Rechtsverteidiger Nummer 3 oder 4 ist, darf nicht verschwiegen werden. Dennoch regelmäßig der Buhmann für viele Barcelona-Anhänger.
Jordi Alba: Derzeit außen vor. Letzte Saison noch mit unter anderem starken 10 Assists in der Liga, aktuell keine ernsthafte Option.
Piqué: Wenig Spielpraxis, körperliche und private Probleme – dazu sehr fehleranfällig aktuell. Spielte zuletzt auch aufgrund von Mangel an Alternativen.
Die Verträge der Routiniers laufen entweder diese oder nächste Saison aus. Auch wenn alle vier ihre Plätze in den Geschichtsbüchern sicher haben und ihren Legendenstatus in Barcelona mehr als verdient haben, scheint es, dass ein Abgang der „Oldies“ mehr Chance als Risiko ist. Xavi wird gefordert sein, die Balance und Hierarchie im Kader wieder herzustellen. Selbsterklärend, dass nicht alleine Busquets, Roberto, Alba und Piqué an den zuletzt enttäuschenden Ergebnissen schuld sind. Auch Neuzugänge wie Raphina (Erfolgreiche Dribblingquote unter 40%) konnten bislang nicht überzeugen.
Taktik & Co: Hier muss Xavi ansetzen
- Rückkehr zum Pressing
Ohne Araújo und Koundé zeigte sich das Team von Xavi ungewohnt abwartend und passiv in der Defensive. Auch der als talentiert geltende Eric García patzte des Öfteren und konnte sich nicht für weitere Auftritte in der Innenverteidigung empfehlen. Nur wenig Vorwärtsverteidigen und große Abstände zwischen den Mannschaftsteilen. Im Schnitt agiert man sogar weniger intensiv gegen den Ball als noch in der Vorsaison – was zuletzt regelmäßig bestraft wurde. - Lösungen gegen tiefstehende Gegner
Obwohl sich nur 20% des Spielgeschehens im eigenen Drittel abspielen, konnte man sich in den letzten Spielen nur wenige Chancen gegen kompakt verteidigende Teams herausspielen – die wenigen vergab sogar Torjäger Lewandowski in ungewohnter Manier. Dass Dembélé mit 3 Saisontreffern der zweitbeste Torschütze Barcelonas ist, zeigt die fehlende Torgefahr aus dem Mittelfeld. Möglicherweise auch, weil Barcelona mit die wenigsten Distanzschüsse der La Liga abgibt. Standards gelten bekanntlich als gerne genutzter Dosenöffner in Geduldspielen – bislang gelang den Blaugranas lediglich 1 Treffer danach. Auch im 1 gegen 1 muss man zulegen – trotz starker Techniker fehlt die Durchsetzungsfähigkeit der Offensivaktuere. Lediglich 48% der Dribblings gewinnt man, was unter dem Ligaschnitt liegt. - Mentalität
Schon kleinere Rückschläge zeigten zuletzt im Spiel eine extreme Wirkung auf die Barca-Akteure. Fehlender Mut und Selbstvertrauen gepaart mit falschen Entscheidungen waren die Folge. Zum Vergleich: der FC Bayern – zuletzt mit großen Problemen – steht souverän an der Tabellenspitze mit 13 zu 2 Toren in der Champions League. Barcelona hingegen droht das zweite Aus in der Vorrunde der Champions League, was selbstredend zu wenig für die eigenen Ansprüche ist.
Formdelle oder mehr?
Der Oktober verlief bislang denkbar ungünstig für Xavi & Co. Dennoch ist man gut beraten, dem Trainer auch weiterhin den Rücken zu stärken. Verletzungspech und mitunter unglückliche Schiedsrichterentscheidungen sind nicht wegzudiskutieren. Der 42-Jährige Spanier ist der dritte Trainer innerhalb von zwei Jahren, der Verein hat sich bewusst für 8-fachen spanischen Meister entschieden – als Langzeitprojekt. Bei 3 Punkten Rückstand auf Real Madrid die Saison schon abzuschreiben, ist ohnehin Humbug – und wer weiß: vielleicht gelingt ja doch noch ein kleines „Wunder“ und man überwintert in der Champions League. Auch wenn nicht – dass ein junger und unerfahrener Trainer Fehler macht und Rückschläge erleiden wird, muss einkalkuliert sein. Was Kontinuität und Vertrauen in ein Trainertalent bringen kann, zeigt aktuell auch ein Blick nach London zu den Gunners.
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Quellen:
Beitragsbild: Fars Media Corporation, Xavi 13981129001173637176666027076571, CC BY 4.0
Statistiken: Wyscout, WhoScored, MarkStats, FotMob, transfermarkt