Nicht erst seit dieser Saison gilt der Kader des VfB Stuttgart als einer der interessantesten der Liga. Doch im Gegensatz zu den Vorsaisons schafft man es, das vorhandene Potenzial regelmäßig auf den Rasen zu bringen. Eng verbunden ist der Erfolg der Schwaben sicherlich mit Trainer Sebastian Hoeneß, der den VfB auf Platz 18 in der abgelaufenen Spielzeit übernahm und neben dem Klassenerhalt sein Team auch fast in das Pokalfinale nach Berlin führen konnte. Wenige Monate später gehören Abstiegssorgen der Vergangenheit an. Die Schwaben befinden sich im Kampf um Europa mittendrin statt nur dabei.
- VfB-Entwicklung unter Hoeneß: von Platz 18 nach oben
- Taktikanalyse „Hoeneß-Ball“: das macht den VfB so stark
- Stuttgarter Schlüsselspieler unter Sebastian Hoeneß: was ist die beste Aufstellung?
VfB-Entwicklung unter Hoeneß: von Platz 18 nach oben
Ausgangssituation
Platz 18, bereits 3 Trainer verschlissen, unter Vorgänger Bruno Labbadia lediglich 6 Punkte aus 11 Spielen geholt und das letzte Spiel mit 0:3 in Berlin verloren. Die Vorzeichen bei der Amtsübernahme von Sebastian Hoeneß hätten kaum schlechter sein können. Aber der vorherige Hoffenheim-Coach schaffte es Stück für Stück, seine eigene Ideen zu implementieren und hatte auf einige vielversprechende Talente einen schnellen positiven Impact. So stiegen Enzo Millot und Joshua Vagnoman in kürzester Zeit zu Leistungsträgern auf, nachdem sie zuvor nur wenig Beachtung fanden. Mit dem Pokalsieg in Nürnberg und dem wichtigen Ligasieg in Bochum konnte Hoeneß mitten im Abstiegskampf eine Art Euphorie entfachen.
Nach und nach sah man beim VfB neue Ideen des Trainers – angefangen mit der Umstellung vom 4-3-3 auf ein 3-4-2-1 über einen kontrollierteren Spielaufbau bis zum deutlich raumorientierteren Verteidigen. Die stärkste Leistung zeigte man in der abgelaufenen Saison in beiden Relegationsspielen, als man sich mit insgesamt 6:1 klar gegenüber dem HSV durchsetzte. Bereits hier zeigte sich Hoeneß‘ Flexibilität – die Rolle des rechten Schienenspielers Vagnoman variierte innerhalb des Spiels, sodass man situativ mit Vierer- und situativ mit Fünferkette agierte.
VfB-Vorbereitung und Transfers 2023/2024
Schon früh in der Vorbereitung konnte man erkennen, dass Stuttgart den spielerischen Ansatz unter Hoeneß weiter vorantreiben und ausbauen möchte – folglich kontrollierte man jedes Testspiel mit sehr hohen Ballbesitzanteilen. Auffällig war hierbei einmal mehr die Flexibilität der Räume, aus denen man agieren wollte. Mal positionierte man sich im 3-4-3, manchmal aber auch im 4-2-3-1 oder im 4-3-3. Im Saisonverlauf etablierte sich mittlerweile in der Regel das 4-2-3-1, das aber sehr variabel gespielt wird. Die Prinzipien bleiben stets die selben. Dazu später mehr.
Dennoch wurde die Stabilität des Systems auf eine harte Probe gestellt. Mit den Abgängen von Kapitän Wataru Endo, Abwehrrecke Konstantinos Mavropanos und Flankengeber Borna Sosa verlor der VfB kurz vor dem Saisonstart 3 absolute Schlüsselspieler, deren Kompensation nur schwer vorstellbar war. Stand jetzt lässt sich sagen, dass es den Schwaben mehr als nur gelang. Sportdirektor Fabian Wohlgemuth arbeitete eng mit Cheftrainer Sebastian Hoeneß zusammen und vertraute diesem dabei auf seine Einschätzung zu alten Weggefährten.
So verpflichtete der VfB unter anderem Angelo Stiller, Woo-yeong Jeong und Deniz Undav. Alles Spieler, die Hoeneß entweder schon trainierte oder wie im Falle Undav bei seiner Hospitation unter Roberto de Zerbi bei Brighton Hove & Albion kennenlernte. Allgemein lassen die Leistungen der Neuverpflichtungen nur wenig Wünsche offen. Allen voran Angelo Stiller, Alexander Nübel und Deniz Undav konnten ihre Qualitäten bereits mehrfach nachweisen. Betrachtet man die Umstände und Konditionen der Transfers, sind auch Maximilian Mittelstädt, Jamie Leweling und Anthony Rouault als absolut positiv einzustufen.
Siege, Siege, Siege: der Stuttgarter Saisonstart
Mit einem fulminanten 5:0-Sieg startete der VfB Stuttgart gegen einen schwachen VfL Bochum in die Saison. „Waren wir so stark oder die so schlecht?“ – noch tat man sich etwas schwierig im eigenen Fanlager, die Leistung und das Ergebnis einzuordnen. Im 2. Saisonspiel trat man in Leipzig an und ging nach einer verdienten Halbzeitführung am Ende mit 5:1 unter, woraufhin die ersten Zweifel an der Standhaftigkeit der Stuttgarter Qualitäten aufkamen. Mit beeindruckenden und selten gefährdeten 6 Ligasiegen am Stück rockte der VfB die Liga aber weiter und lieferte Woche für Woche aufs Neue ab. Dabei war man auch in der Lage gegen Widerstände anzukämpfen und drehte beispielsweise die Partien gegen Darmstadt und Wolfsburg mit attraktivem Fußball.
Nach den Niederlagen gegen Hoffenheim und Heidenheim stand das Umfeld einmal mehr vor der Frage, wie weit der VfB in der Entwicklung sei. Dabei ist anzumerken, dass man gegen Hoffenheim extrem unglücklich verlor und sich – bis auf die Konterabsicherung in den ersten 15 Minuten – außer der Chancenverwertung nichts vorwerfen konnte. Lediglich gegen Heidenheim war man leistungstechnisch nicht am Limit, verpasste aber in persona von Silas sowohl in der Anfangsphase als auch in der 2. Halbzeit beim Stand von 0:0 erstklassige Torchancen, um in Führung gehen. Letztendlich scheiterte man an der Heidenheimer Qualität bei Offensivstandards, die man nicht gut verteidigte. Mit einem beeindruckenden Comeback gegen den BVB und dem 2:1-Erfolg, der deutlich höher hätte ausfallen müssen (4,5 Expected Goals) konnte sich die Hoeneß-Elf aber weiter oben festbeißen.
Taktikanalyse „Hoeneß-Ball“: das macht den VfB Stuttgart so stark
Mit Ball
Der VfB Stuttgart agiert unter Sebastian Hoeneß sehr geduldig und vor allem sehr variabel im eigenen Spielaufbau. Vor allem die Rolle der beiden Außenverteidiger ist hierbei interessant: mal schiebt einer nach innen, sodass man zu dritt aufbaut. Manchmal wird die Breite besetzt und manchmal schieben sie invers in Richtung Zentrum, um die Mitte zu überladen.
Dass der VfB mit so viel Ballbesitz und Dominanz auftrumpft, liegt an der Pressingresistenz des eigenen Spielaufbaus. Dass der Spielaufbau flach erfolgen soll, zeigt sich alleine daran, dass Alexander Nübel der Torhüter ist, der prozentual die wenigsten langen Bälle in der Bundesliga spielt. Immer wieder positioniert man sich eng beieinander. Unter Gegnerdruck bieten sich die beiden zentralen Mittelfeldspieler Atakan Karazor und Angelo Stiller sehr eng vor der Abwehr an, um anspielbar zu sein.
Im Spiel nach vorne bleibt der VfB geduldig und sucht auch im letzten Drittel den spielerischen Weg. Häufig gehen die Flügelspieler um Chris Führich in Dribblings und 1-gegen-1-Situationen, um den Weg zur Grundlinie zu suchen. Folglich initiierte der VfB Stuttgart 9 Tore durch ein vorheriges erfoglreiches Dribbling – kein Team mehr! Vor allem in Abwesenheit von Serhou Guirassy verzichtet man auf Halbfeldflanken und wählt stattdessen den Rückpass von der Grundlinie aus. Mit viel Personal besetzt man den gegnerischen Strafraum, um in der Box ausreichend Abnehmer vorzufinden.
Umschaltspiel
Es zeigt sich auch in einigen Spielphasen auch, dass Sebastian Hoeneß bei Brighton unter Roberto de Zerbi hospitierte. Der VfB liebt es, den Gegner mit einem tiefen und geduldigen Ballbesitz zu locken, um das gegnerische Pressing zu überspielen und folglich umschaltartige Situationen zu kreieren. Auch nach gegnerischem Ballverlust spielt man schnell und mit viel Personal nach vorne. 8 Tore nach gegnerischem Ballverlust sind Ligaspitze.
Ebenso wichtig ist natürlich das Umschaltspiel nach eigenem Ballverlust. Da sich der VfB stets mit vielen Spielern in Ballnähe positioniert, ist es naheliegend, dass man sofort aktiv in das Gegenpressing übergeht. So kann man viele zweite Bälle erobern und Angriffswelle um -welle in Richtung gegnerisches Tor starten.
Gegen den Ball
Häufig verteidigt der VfB im 4-4-2 bei gegnerischem Spielaufbau, da der Offensive Mittelfeldspieler (häufig Millot) sich neben der Sturmspitze positioniert. Die beiden zentralen Mittelfeldspieler schieben weit nach vorne und auch die Viererkette verteidigt, wenn man hoch anläuft, konsequent nach vorne. Die Hoeneß-Elf verdichtet hierbei gerne das Zentrum und stellt dem Gegner bewusste Pressingfallen
Durchaus typisch unter Trainer Sebastian Hoeneß ist aber auch, dass der VfB gegen den Ball flexibel agiert. In manchen Spielphasen zieht man sich auch etwas weiter zurück und verteidigt im Mittelfeldpressing, um in der Folge mehr Raum hinter der gegnerischen Abwehr vorzufinden. Folglich liegt Stuttgart auch im PPDA (passes per defensive action) Ranking nicht ganz oben, sondern mit 11.6 „nur“ auf Platz 8.
Stuttgarter Schlüsselspieler unter Sebastian Hoeneß: was ist die beste Aufstellung?
Defensive
Sucht man nach Schlüsselspielern im VfB-System, kommt man nicht an Neuzugang Alexander Nübel vorbei. Der Torwart füllt die vormalige Problemposition stark aus, überzeugt mit starken Paraden und seiner fußballerischen Qualität über kurze und längere Distanzen. 92% Passquote sprechen hier für sich. Ebenfalls muss man Kapitän Waldemar Anton erwähnen, der nicht von ungefähr mit Bayer Leverkusen in Verbindung gebracht wird. Vor allem die Konstanz und Zuverlässigkeit macht ihn unverzichtbar. Nebenmann Dan-Axel Zagadou, oft gescholten, hat sich auch extrem stabilisiert und überzeugt mit beeindruckenden Werten. Mit 77% gewonnenen Defensivduellen gehört er zur Top-10 der Bundesliga. Oft vergessen wird Hiroki Itō. Der Japaner, der als linker Innenverteidiger oder Linksverteidiger viele linienbrechende Pässe im Aufbau spielt, beherrscht es sowohl vom Zentrum aus aufzubauen, auf die „6“ zu rücken oder sogar den Weg bis zur Grundlinie zu suchen. Die Interessenten in der nächsten Transferperiode für den 24-jährigen Japaner dürften nicht wenige sein.
Mittelfeld
Schon in den vorherigen Absätzen wurde die Mittelfeldzentrale aus Atakan Karazor und Angelo Stiller mehrfach lobend erwähnt. Die beiden schafften es tatsächlich, Wataru Endo vergessen zu machen und ergänzen sich perfekt. Karazor agiert etwas tiefer und löst vieles mit seinem Stellungsspiel, während Stiller der umtriebigere und strategischere Part ist – mit über 91% angekommenen Pässen stellt Stiller die Benchmark der Bundesliga dar. Nicht vergessen darf man natürlich Enzo Millot, der es unter Sebastian Hoeneß zum Unterschiedsspieler geschafft hat. Kein anderer VfB-Akteur bewegt sich so gut zwischen den Linien. Zudem ist er mit seiner Kreativität immer für besondere Momente gut und kann das Spiel der Schwaben beschleunigen wie kein Zweiter.
Offensive
Dass die Schwaben fast 40% ihrer Angriffe über den linken Flügel vortragen, hängt eng mit der Entwicklung von Chris Führich zusammen. Der „Inverted Winger“ konnte seine Entscheidungsfindung in den vergangenen Monaten um ein Vielfaches verbessern. Mit 71% gewonnen Dribblings übertrumpft ihn hier kein anderer Spieler in der Liga, wodurch Führich immer wieder gefährliche Momente erzeugen kann. Ebenfalls zu erwähnen ist Neuzugang Deniz Undav, der neben seinem Torinstinkt auch mit dem Rücken zum Tor gut mitspielt, sich oft fallen lässt und wohl am besten neben Serhou Guirassy performen kann. Apropos Guirassy. DER Torjäger darf natürlich fehlen. Viele Worte sind für die Beschreibung des Knipsers gar nicht notwendig. Der 27-Jährige performt schlicht und ergreifend auf absolutem Top-Niveau und vereint Physis, Abschluss und Technik. Mit Guirassy ist der VfB auch in der Lage, gegnerisches Pressing lang zu überspielen, da er diese Bälle extrem gut abschirmen kann. Mehr zu Guirassy könnt ihr hier nachlesen.
Die bestmögliche Aufstellung vom VfB Stuttgart
Einige Spieler beim VfB Stuttgart sind sicherlich unabhängig von verschiedenen Umständen gesetzt. Hierfür zählen definitiv Torwart Nübel, Kapitän Anton und die Mittelfeldzentrale aus Stiller und Karazor. Auch an Chris Führich, Enzo Millot und Serhou Guirassy führt kein Weg vorbei. Die Besetzung der restlichen Positionen wird sicherlich von Fitness, Form und Gegner abhängig sein. Weitere Startelfkandidaten sind sicherlich auch Mittelstädt, Rouault, Stenzel, Leweling und vor allem Silas. Dennoch hat der wiedergenesene Vagnoman gute Chancen, sich rechts hinten festzuspielen, da er das Profil des rechten Schienenspielers mit Offensiv- und Defensivqualitäten am besten vereint.
Während Vagnoman hochschiebt, könnte Ito den linken Innenverteidiger im Spielaufbau in der 3er-Kette einnehmen. Millot würde nach innen rücken und die rechte Schiene für Vagnoman freimachen. So hätte der VfB die Breite mit Führich und Vagnoman gut besetzt und im Zentrum viel Qualität und Offensivpower mit Millot, Undav und Guirassy.
Selbstverständlich wird Sebastian Hoeneß auch zahlreiche andere personelle und taktische Ideen haben und von Spiel zu Spiel variieren, welche Räume er wie besetzt haben möchte. Prinzipiell gibt der VfB-Kader durchaus spannende Optionen auch in der Breite her, um auf verschiedene Situationen reagieren zu können. Lediglich im Mittelfeldzentrum sollte wenig passieren – hinter Karazor und Stiller wird es in der Breite eher dünn.
Bleiben die Leistungsträger fit, wird mit dem VfB auch in der restlichen Spielzeit zu rechnen sein. Auch wenn man die aktuelle Platzierung vermutlich nicht ganz halten wird, wird die Saison positiv zu Ende gehen. Das Ziel war eine sorgenfreie Runde und der souveräne Klassenerhalt. Betrachtet man den Punkteschnitt von Trainer Sebastian Hoeneß beim VfB Stuttgart, spricht dieser für sich. Über 2 Punkte fährt der 41-Jährige mit seinem Team pro Spiel ein. Nach so vielen Spielen ist dies weit mehr als nur eine Momentaufnahme. Der VfB Stuttgart ist einfach gut und macht Spaß – auch dank Sebastian Hoeneß‘ attraktiver Spielweise.
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Quellen:
wyscout.com
xvalue.ai
transfermarkt.de