1.FC Köln: auch unter Timo Schultz weiterhin aktiver Fußball
Auch unter dem neuen Trainer Timo Schultz können sich die Fans des 1. FC Köln weiterhin auf eine aktive Art Fußballzuspielen einstellen. Statt abwartend den Gegner kommen zu lassen oder selbst mit langen Ballbesitzphasen das Spiel zu beruhigen, lässt Schultz seine Mannschaften schnell, aber trotzdem flach nach vorne spielen.
Schultz‘ offensive 4-Raute-2-Formation
In seiner letzten kompletten Saison als Trainer – in der 2. Bundesliga-Saison 2021/2022 mit dem FC St. Pauli – setzte der 46-Jährige in 80% der Spielzeit auf eine 4-Raute-2-Formationen. Während im Mittelfeldzentrum gleich vier Spieler ein schnelles Kombinationsspiel durchs Zentrum ermöglichen sollten, rückten die beiden Außenverteidiger hoch, um für die Breite im Spiel zu sorgen. Ein Mittelfeldspieler agierte als Sechser, während der Zehner mit seiner Umtriebigkeit und Flexibilität die Doppelspitze unterstützte. Man versuchte, mit Pässen hinter die gegnerische Abwehrkette vors Tor zu kommen, wählte aber auch das Spiel über die hochrückenden Außenverteidiger.
Schultz‘ damaliger & jetziger Schlüsselspieler: Leart Paqarada
Insbesondere Leart Paqarada, der nun wieder auf seinen ehemaligen Übungsleiter trifft, spielte ein Schlüsselrolle im System Schultz. Er war nicht nur mit seinem starken raumgewinnenden Pässen im Spielaufbau eingebunden. Darüber hinaus war der Linksverteidiger sowohl defensiv als auch defensiv mit sehr vielen Aktionen präsent im Spiel. Im Zusammenspiel mit dem linken Achter Hartel sorgten er mit seinen vielen Flanken immer wieder für gute Chancen. In Verbindung mit seinen Standards kreierte er die meisten Torchancen für St. Pauli. In der gesamten Saison gab es nur wenige 2.Liga-Spieler, die mehr Flanken schlugen und Großchancen kreierten.
Flexibler & gefährlicher Offensivfußball
Die Mixtur aus einem flankenstarken Außenverteidiger, einem spielstarken Mittelfeldzentrum und einem variablen Offensiv-Trio machte das Angriffsspiel der Schultz-Elf nur schwer ausrechenbar. Mit vielen Ausweichbewegungen schaffte man es immer wieder, Lücken in die gegnerischen Abwehrreihen zu reißen und auf viele Wege Chancen zu kreieren. Was Passspiel, Chancenkreation und Torgefahr anging, zählte der FC St. Pauli in dieser 2. Liga-Saison zum oberen Drittel der Liga.
Schultz‘ riskantes Umschaltspiel mit aggressivem Gegenpressing
Die aktive Herangehensweise von Schultz machte das Umschaltspiel zu einem entscheidenden Faktor. Schließlich kam es durch das riskante Spiel mit, aber auch gegen den Ball zu vielen Ballbesitzwechseln. Trotz 53% Ballbesitzanteilen war St. Pauli das Team mit den zweitmeisten Balleroberungen der Liga, jedoch auch bei der Anzahl der Ballverluste im oberen Drittel der Liga dabei. Insbesondere nach Ballverlust gab es nur eine Mannschaft, die aggressiver ins Gegenpressing ging. Die Folge waren viele Tore nach hohen Balleroberungen. Auch in puncto Kontertoren zählte man zu den erfolgreichsten Mannschaften der Liga, da man trotz geringer Chancenqualität sehr effizient agierte. Zwar verteidigte man selbst die Tiefe hinter der eignen hohen Abwehrreihe meist ordentlich. Jedoch war man durch das riskante ballnahe Gegenpressing sehr konteranfällig und kassierte folgerichtig einige Gegentore danach.
Versuch der Kompaktheit gegen den Ball
Im Spiel gegen den Ball verzeichnete die Schultz-Elf sehr wenige Defensiv-Zweikämpfe. Stattdessen lag der Fokus auf raumorientiertem Verteidigen, um insbesondere auf der ballnahen Seite Kompaktheit zu bewahren. Dadurch ermöglichte man den gegnerischen Angreifern nur wenig isolierte 1-gegen-1-Duelle. Das Pressing des FC St. Pauli zeichnete sich dadurch aus, dass man versuchte, den Gegner in Pressingfallen zu locken, um den langen Pass und im Optimalfall Fehlpass zu erzwingen. Um die Innenverteidiger zu entlasten, war der Sechser vor der Abwehr mit vielen Defensivaktionen dominant. Gleichzeitig wurde er von mindestens einem der beiden Achter unterstützt. Dennoch zählte der FC St. Pauli, vordergründig durch die hohe Risikofreude begründet, zu den defensiv anfälligeren Teams der 2. Bundesliga-Saison 2021/2022.
Alte Kölner Stärken unter Schultz: Flanken..
Auf Grundlage dieser Analyse bringt Timo Schultz mit seiner Spielweise einige Ansatzpunkte mit, die dem 1. FC Köln weiterhelfen könnte. Mit dem FC St. Pauli schaffte er es offensichtlich, die Flanken vom Flügel sehr gut vorzubereiten. Obwohl man in 2021/2022 nicht besonders viele Flanken schlug, war man mit 13 Toren nach Hereingaben aus dem Spiel die dritterfolgreichste Mannschaft. Dass hierfür Leart Paqarada damals ein wichtiger Faktor war und nun auch wieder werden soll, liegt auf der Hand. Denn die bisherige Ausbeute des FC von lediglich einem mageren Tor nach Flanken gilt es dringend zu verbessern – insbesondere, wenn man bedenkt, das bisher kein Bundesliga-Team mehr Flanken schlug als der 1. FC Köln. Mit Davie Selke stünde einer der kopfballstärksten Stürmer der Liga zum Einnicken bereit.
.. und Pressing
Eine weitere verlorengegangen Stärke des Kölner Spiel ist das Pressing und Gegenpressing, das im Vergleich zur Vorsaison deutlich an Effizienz einbüßte. Der FC erzielte bisher erst ein Tor nach hoher Balleroberung. Mit 13 erzielten Toren auf diese Art und Weise in der Saison 2021/2022 mit den Kiezkickern dürfte Schultz über die nötigen Stellschrauben Bescheid wissen, um der Mannschaft des 1. FC Köln wieder mehr Aggressivität zu verleihen. Dass der FC bislang zu den Bundesligamannschaften zählt, die am wenigsten nach Konter zulassen, mag zwar auf den ersten Blick positiv klingen. Jedoch ist es gleichzeitig ein Hinweis darauf, dass zuletzt etwas Risiko fehlte. Wie aus der Saison 2021/2022 hervorgeht, scheint Timo Schultz den Mut zum Risiko in seiner Spiel-DNA verinnerlicht zu haben.
Viel Verbesserungsbedarf beim 1. FC Köln
Aufgrund der aktuellen Punkteausbeute und Tabellensituation wären logischerweise noch viele Ansatzpunkte zu finden, die der 1. FC Köln dringend verbessern muss. Allerdings dürften das Flankenspiel und die Aggressivität gegen den Ball die kleinsten Hebel sein, weil jene Elemente vor nicht allzu langer Zeit noch zu den Stärken des FC-Spiels zählten.
Wie könnte Timo Schultz beim 1. FC Köln die Mannschaft aufstellen?
Viel spannender dagegen ist die Überlegung, wie Timo Schultz sein favorisiertes 4-Raute-2-System beim 1. FC Köln mit Leben füllen könnte. Das defensive Zentrum um Torhüter Schwäbe und den beiden Innenverteidiger Chabot und Hübers sollte auch unter dem neuen Trainer stehen. Ähnliches dürfte für Eric Martel auf der Sechserposition gelten. Als Mittelfeldspieler mit den meisten erfolgreichen Defensivaktionen pro 90 Minuten in der Bundesliga kann er die Rolle des absichernden Sechsers in der Mittelfeldraute geben.
Hoffnung auf Paqarada
Da Martel allerdings kaum durch raumgewinnende Pässe auffällt, werden andere Spieler Verantwortung im Spielaufbau übernehmen müssen. Hier dürfte große Hoffnung darauf liegen, dass Leart Paqarada durch die Wiedervereinigung mit Timo Schultz konstanter in seinen Leistungen wird. Da er ohnehin schon die meisten progressiven Pässe beim FC spielt, dürfte er auch – wie damals beim FC St. Pauli – nicht nur im Angriffsspiel, sondern auch wichtig für den Spielfortschritt werden. Als sein Pedant auf der rechten Abwehrseite könnte Carstensen mit seiner Flexibilität die in beide Richtungen so wichtige Außenverteidigerrolle übernehmen.
Technik und Physis auf der Acht
Da Paqarada unter Schultz im Zusammenspiel mit einem technisch starken Kreativspieler im linken zentralen Mittelfeld so gut funktionierte, wäre es eine Überlegung wert, Kapitän Kainz auf dieser Position zu etablieren. Schließlich bringt Kainz mit seinem Passspiel, seiner Technik und seiner Übersicht ähnliche Qualitäten wie Marcel Hartel mit, der damals mit Paqarada harmonierte. Neben Kainz sollte Ljubicic mit seiner Workrate und Physis als Box-to-Box-Achter den geeigneten Gegenpart geben können.
Wie schon bei St. Pauli: variables Offensiv-Trio beim FC gesucht
Besonders wichtig in diesem System wird die Position hinter den Spitzen. Denn der Zehner soll mit vielen Läufen sich zwischen den Linien und in den Halbräumen bewegen, um progressive Pässe zu empfangen und aufdrehen zu können. Gleichzeitig soll er die Doppelspitze mit Torgefahr aus der Tiefe unterstützen. Sowohl Uth als auch Waldschmidt bringen ähnliche Fähigkeiten mit. Da beide allerdings nicht als die temporeichsten Dribbler bekannt sind, bedarf es neben Zielspieler Selke diesen Spielertypen. Hier bleibt es abzuwarten, wie sich der aus langer Verletzung zurückgekehrte Thielmann entwickelt. Da der schnelle Maina der einzige Spieler im Kölner Kader ist, der in dieser Saison auf über 5 Dribblings pro 90 Minuten kommt, könnte er die Rolle um Selke herum bekleiden.
Hoffnung auf Super-Talent Justin Diehl
Eine Geheimwaffe könnte der junge Justin Diehl werden. Mit 21 Scorerpunkten in 19 Spielen ist der 19-jährige Offensivspieler offensichtlich zu gut für die Regionalliga. Zudem brächte er mit fast 10 Dribblings pro 90 Minuten die nötige Unbekümmertheit und die Fähigkeit, für besondere Moment sorgen zu können, mit. Aufgrund seiner nur 20 Minuten langen Bundesliga-Erfahrung sollte man jedoch nicht zu viel erwarten, auch wenn Diehls großes Talent unverkennbar ist.
1.FC Köln unter Schultz wieder mit mehr Mut zum Risiko?
Anhand der Herangehensweise von Timo Schultz beim FC St. Pauli kann man durchaus nachvollziehen, warum sich der Verantwortlichen des 1. FC Köln für ihn als Trainer entschieden haben. Sein Mut zum Risiko könnte helfen, die schwächste Offensive der Liga wieder zum Leben zu erwecken. Zudem stehen im Kölner Kader auf viele Positionen die richtigen Spielertypen für sein Spielsystem zu Verfügung, auch wenn die Qualität nach dieser Hinrunde fraglich bleibt. Darüber hinaus ist es längst nicht in Stein gemeißelt, dass Schultz wieder auf seine Mittelfeldraute setzt. Denn zuletzt bei Basel & St. Pauli fand auch hin und wieder die Dreierkette Anwendung.
Trotz Entlassung: stetige Weiterentwicklung des FC St. Pauli unter Timo Schultz
Bei zuletzt zwei Entlassungen dürften viele Kölner Fans auch die Qualitätsfrage bei Schultz stellen. Allerdings kann man feststellen, dass unter sein Amtszeit beim FC St. Pauli eine stetige Weiterentwicklung zu erkennen. Der Schnitt der Expected Points stieg von 1,3 in der Saison 2020/2021 auf 1,5 in der Saison 2021/2022. Dass Schultz nach der Hinrunde 2022/2023 entlassen wurde, hing auch mit dem fehlenden Spielglück zusammen. Denn der Expected Points-Schnitt lag in dieser Serie sogar bei 1,7. Dass Schultz eine intakte Mannschaft an seinen Nachfolger Hürzeler übergab, wird durch die darauffolgende starke Rückrunde 2022/2023 des FC St. Pauli bestätigt. Somit sollte Timo Schultz‘ Entlassung beim kriselnden und zuletzt chaotischen FC Basel im September letzten Jahres nicht auf die Goldwaage gelegt werden.
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Quellen:
wyscout.com
xvalue.ai
transfermarkt.de
theanalyst.com
fbref.com
bundesliga.de