Offensiv-Spektakel unter Raphael Wicky? BSC Young Boys in der Analyse!

Berner Offensivspektakel gegen den FC Basel

Ich will aktiven, dominanten Fußball spielen lassen!

Ein Versprechen, das man bei vielen Antrittspressekonferenzen von neuen Trainern hört. Und das in der Regel nur selten eingehalten wird. So allerdings nicht bei den Young Boys Bern mit Trainer Raphael Wicky. Denn der vor der Saison verpflichtete Trainer lässt seine Mannschaft einen offensiv ausgerichteten Fußball spielen. Als Paradebeispiel dafür dient der 3:0-Heimsieg gegen den FC Basel am vergangenen Spieltag. Insgesamt kreierten die Young Boys einen Expected Goals Wert von 5,89Topwert in der bisherigen Saison! Demensprechend gut waren die Basler mit „nur“ drei Gegentoren am Ende bedient, nachdem die Berner zuvor 75 Minuten lang beste Chancen liegen ließen.

Bundesliga-Sprungbrett Bern?

Nach 25 Spieltagen ist dem BSC nun mit 18 Punkten Vorsprung nur noch rein rechnerisch die fünfte Schweizer Meisterschaft in den letzten 6 Jahren zu nehmen. Neben Adi Hütter und Gerardo Seoane könnte sich nun also auch Raphael Wicky in diese erfolgreichen Jahre der Berner als Meistertrainer einreihen. Es wäre wahrlich kein schlechtes Omen für den ehemaligen Spieler des HSV und Werder Bremen, wie ein Blick in die Lebensläufe seiner Vorgänger zeigt. Sowohl Hütter mit Borussia M’Gladbach und Eintracht Frankfurt als auch Seoane mit Bayer 04 Leverkusen durften wenig später ihr Können auf der Trainerbank von namhaften Bundesligisten unter Beweis stellen.

Fehlende Konkurrenz in der Meisterschaft?

Doch trotz der komfortablen tabellarischen Situation gibt es immer wieder Zweifel am „Wicky-Fußball“. Insbesondere nach zuletzt drei Remis in Folge, auf die man jedoch mit zwei Siegen und 7:0 Toren stark antworten konnte. Teil der Wahrheit ist allerdings auch, dass in dieser Saison ernsthafte Konkurrenz um den Titel fehlt. Der Punkteschnitt von 1,44 des Zweitplatzierten Servette Genf hätte in der letzten Saison lediglich zu Rang 5 gereicht. Demensprechend „wenig“ könnte den Bernern in dieser Saison zum Titel reichen. Denn bei den Meisterschaften von 2018 bis 2021 konnte man dreimal den diesjährigen Punkteschnitt von 2,14 überbieten. Um den Fußball der Young Boys in der bisherigen Saison bewerten zu können, bedarf es einer genaueren Analyse als nur die Berechnung des Punkteschnitts.

Parallelen zum FC Bayern

Wir haben immer den Anspruch, gut zu spielen und den Zuschauern ein Spektakel zu bieten. Aber schaffst du’s in jedem Spiel der Saison? Nein.





Wie jeder Trainer würde Raphael Wicky den Fans gerne Woche für Woche Spektakel bieten. Dass diese Vorstellung utopisch ist, dürfte auch der erwartungsvollste Fan verstehen. Trotzdem sind in dieser immer wieder Schwankungen im Berner Spiel zu erkennen. Zwar ist man mit nur einer Niederlage aus dem vergangenen September kaum zu schlagen. Jedoch stehen den 15 Saisonsiegen bereits 9 Punkteteilungen gegenüber. Würde man sich jederzeit einen Vergleich mit dem FC Bayern München wünschen, ist er in dieser Beziehung negativ behaftet. Denn ähnlich wie der deutsche Rekordmeister schafft man es nicht, die engen Spiele auf die eigene Seite zu ziehen. Gleichzeitig gewann man bereits 11-mal mit mindestens 3 Toren Unterschied.

Offensive Außenverteidiger in 4-Raute-2-Formation

Sucht man nach Kontinuität, ist diese in jedem Fall bei der Formationswahl zu finden. Fast ausschließlich schickt Wicky seine Elf in einer 4-Raute-2-Systematik auf den Rasen. Eine besonders wichtige Rolle spielen dabei die beiden Außenverteidiger Ulisses Garcia und Youngster Lewin Blum. Als Breitengeber fungierend rückt das Duo bei Ballbesitz sehr hoch, um die gegnerische Box mit Flanken zu attackieren. Mit über 19 Flanken pro 90 Minuten schlagen die Young Boys wenig überraschend die mit Abstand meisten der Liga, die gleichzeitig mit einer Erfolgsquote von 39% die präzisesten sind.

Absicherung durch Ankersechser

Eine wichtige Komponente zur Absicherung des eigenen Ballbesitz ist Cheikh Niasse, der als Ankersechser vor den beiden Innenverteidigern agiert. Mit seinem guten Stellungsspiel und seiner Zweikampfpräsenz verzeichnen nur zwei Spieler der Super League mehr erfolgreiche Defensiv-Aktionen pro 90 Minuten als der 23-jährige Senegalese. Speziell für die Spielweise der Young Boys sind seine Fähigkeiten von großer Bedeutung. Denn trotz der höchsten Ballbesitzanteile von 56% suchen die Berner stets den direkten Weg nach vorne.

Aber der Ballbesitz darf kein Selbstzweck sein, es muss etwas aus ihm entstehen. Im besten Fall ein Tor.

Vertikalspiel auf europäischem Top-Niveau

Stolze 76 Steilpässe bei einer Präzision von 79% spielt der Tabellenführer pro 90 Minuten. Werte, die nicht nur in der Super League ihresgleichen suchen. Selbst in Europas-Top-5-Ligen wird dieser Wert nur vom FC Bayern überboten. Demzufolge ein klares Merkmal für qualitativ hochwertigen Offensiv-Fußball. Da die Durchbrüche vorzugsweise durch die Mitte geschehen sollen, setzt Wicky auf ein offensives Mittelfeldzentrum. Einerseits ist man dadurch gut positioniert, um die vielen Steilpässe zwischen den Linien aufzunehmen und mit Tempo Richtung Tor zu marschieren. Andererseits können die Stürmer bei den zahlreichen Hereingaben unterstützt werden und gleichzeitig mögliche Ballverluste (drittmeisten der Liga) im Rückraum sofort durch Gegenpressing kompensiert werden.

Ohnehin sind die Berner das pressingintensivste Team der Liga. Nicht einmal 8 Pässe (PPDA 7,4) lässt man den Gegner im Spielaufbau spielen, ehe man diesen durch eine Defensiv-Aktion unterbindet.



Schweizer de Bruyne

Als Vorzeige-Pressingspieler ist in diesem Zusammenhang das vielumworbene Talent Fabian Rieder zu nennen. Tatsächlich gibt es in der Super League keinen offensiven Mittelfeldspieler, der mehr Defensiv-Duelle pro 90 Minuten (10) führt. Was den 21-jährigen Schweizer ins Blickfeld vieler europäischer Klubs brachte, ist hingegen sein Spiel mit Ball. Mit seiner Kreativität und Übersicht sowie Abschlussstärke ähnelt er der Spielweise eines Kevin de Bruyne. Insgesamt war der Offensivmann an knapp jedem 5. Torschuss der Berner in dieser Saison direkt beteiligt und konnte bereits 6 Tore und 3 Vorlagen beisteuern. Ein weiterer Verbleib über die Saison hinaus scheint angesichts seiner starken Leistungen unrealistisch.

Präsente Doppelspitze

Doppelter Grund für das flankenreiche Spiel der Berner ist die robuste und kopfballstarke Doppelspitze. Beim kopfballgefährlichsten Team der Liga mit bereits 12 Toren gehen 5 davon auf das Konto von Cedric Itten und Jean-Pierre Nsame. Gemeinsam können die beiden Stürmer den Abgang vor Jordan Siebatcheu zu Union Berlin gut auffangen und kommen kumuliert auf 27 Tore und weitere 11 Vorlagen. Während sich Itten auch mal gerne in den rechten Halbraum fallen lässt, um von dort aus Tempo aufzunehmen (62%+ Dribblings) fungiert Nsame als Zielspieler und empfängt die meisten lange Bälle (2,4 pro 90 Minuten) aller Berner. Eine Kombination, die offensichtlich Früchte trägt.

Spielerische Lösungen

Summa summarum lässt sich das Offensivspiel der Young Boys trotz der Schwankungen sehen. Statt auf Standards (11 Tore) angewiesen zu sein, verfügt die Wicky-Elf über die spielerischen Werkzeuge und konnte 32 der 59 Saisontore aus eigenen Positionsangriffen heraus kreieren. Dazu kommt ein funktionierendes Umschaltspiel, das bereits 15 Kontertore zur Folge hatte. Als logische Folge ist YB mit fast 54 erspielten Expected Goals das torgefährlichste Team der Liga.

Defensive Schwächen?

Bei nur 17 Gegentoren scheint auch die Defensive um Kapitän Fabian Lustenberger sattelfest zu sein. Doch der Schein trügt – zumindest etwas. Denn laut Expected Goals profierte man von der schwachen Chancenverwertung des Gegners und einem starken David von Ballmoos im Tor und hätte laut dieser Statistik eigentlich 31 Gegentore kassieren müssen. Nichtsdestotrotz wäre auch dieser Wert Ligaspitze und ist dementsprechend Kritik auf hohem Niveau. Dennoch wird man bei den Ansprüchen der Berner auch diesen kleinen Makel ernst nehmen und beseitigen wollen.

Raphael Wicky mit klarer Spielidee

Abschließend kann man festhalten, dass Raphael Wicky eine klare Spielidee verfolgt. Mit schnellem Vertikalspiel will man mit möglichst viel Personal die gegnerische Box attackieren. Im Spiel gegen den Ball sollen durch hohe Balleroberungen (15 pro 90 Minuten) die Wege zum eigenen Tor möglichst lang- und zum gegnerischen Tor möglichst kurzgehalten werden. Dass sich durch dieses angriffslustige, aber auch riskante Spiel die ein oder andere Lücke in der Defensive auftut, lässt sich angesichts der hervorragenden Tabellensituation verzeihen. Auch wenn die Konkurrenz in diesem Jahr fehlt, kann man isoliert betrachtet dennoch von einer attraktiven Spielidee sprechen. Entscheidend für die Gesamtbewertung wird sicherlich das kommende Pokal-Halbfinale gegen den FC Basel. Sollte man ähnlich wie zuletzt bei der Machtdemonstration in der Liga auftreten, stehen die Chancen für das 3. Double der Vereinsgeschichte nicht schlecht.


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Quellen:
wyscout.com
instat.com
transfermarkt.de
Vincenzo.togni, The Wankdorf Stadium before a Champions League Match (2021), CC BY-SA 4.0

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