36 Tore in 34 Spielen – was nach der Torausbeute eines Abstiegskandidaten klingt, reichte dem AC Milan in der Saison 1993/1994 zur italienischen Meisterschaft.
Montag, 4. April 1994: Der AC Milan fährt am 30. Spieltag der Serie-A-Saison 1993/1994 mit einem unspektakulären 1:1 gegen Parma im Giuseppe-Meazza-Stadion die dritte Meisterschaft in Folge ein. Vier Spieltage vor Saisonende stehen die Mailänder mit neun Punkten Vorsprung uneinholbar (2-Punkte-Regel) an der Tabellenspitze und können somit den 14. Scudetto der Vereinsgeschichte feiern – klingt zunächst nicht sonderlich ungewöhnlich. Bemerkenswert ist allerdings der genauere Blick auf die Abschlusstabelle: mit 36 Toren in 34 Spielen und somit einem Schnitt von lediglich einem (1,06) Tor pro Spiel gelang den Mailändern ein beispielloses Kunststück.
Ausgangslage
Es stand keine einfache Saison für den AC Milan bevor. Nachdem die Mannschaft mit Trainer Fabio Capello in dessen beiden ersten Jahren sich jeweils den Ligatitel sichern konnte, verlor man im Sommer 1993 mit dem niederländischen Trio um Rijkaard (Ajax), van Basten (Verletzung) und Gullit (Sampdoria) eine wichtige Achse. Folglich musste sich der damals 47-jährige Capello vor allem in der Offensive neue Ideen einfallen lassen. In den beiden Vorjahren kam man mit 65 und 74 Toren noch sehr treffsicher daher.
Trainer Capello setzte weiter auf sein altbewährtes 4-4-2 mit Doppel-Sechs. Mit Defensivkünstlern wie Baresi, Costacurta und Maldini war man in der Vierkette hervorragend aufgestellt. Dazu fungierte der im Laufe der Hinrunde aus Marseille hinzugekommene Marcel Desailly als Staubsauger vor der Abwehr. Aus einer stabilen Grundordnung heraus wollte man mit schnellem und pragmatischem Fußball den Weg in die Offensive finden – Catenaccio in Reinkultur.
Saisonverlauf
Mit fünf Siegen aus den ersten sieben Partien glückte der Saisonstart. Das erste Gegentor für den AC Milan gab es erst am 8. Spieltag: beim 1:1 bei Foggia Calcio musste Torwart Sebastiano Rossi das erste Mal hinter sich greifen. Die erste Niederlage folgte am 10. Spieltag bei Sampdoria Genua, für die Ex-Rossonieri Ruud Gullit zum 3:2 Endstand traf. Es sollte allerdings die letzte Niederlage für lange Zeit gewesen sein, denn vom 11. bis zum 28. Spieltag verloren die Mailänder kein Spiel und zogen somit der Konkurrenz mit einer Bilanz von 19 Siegen, 8 Unentschieden und lediglich einer Niederlage davon. Nachdem man nur noch rein rechnerisch überholt werden konnte, blieb man in den verbleibenden sechs Ligaspielen sieglos (vier Unentschieden, zwei Niederlagen).
Minimalisten
Insgesamt können die Norditaliener in eindrucksvollen 22 von 34 Spielen die Null halten: neunmal 1:0, fünfmal 2:0 und achtmal 0:0. Im Saisonverlauf blieb man teilweise über mehrere Wochen hinweg (sieben und achten Partien in Folge) ohne Gegentor. Zudem wurde in keinem einzigen Saisonspiel mehr als zwei Tore erzielt – mehr Minimalismus geht kaum. Besonders auffällig im Spiel der Capello-Elf war der Fokus auf das Flankenspiel. 21 der 36 Saisontore (fast 60%) fielen nach Hereingaben über den Flügel – 14 davon über die linke Seite um Topvorbereiter Roberto Donadoni. Folglich standen insgesamt neun Kopfballtreffer zu Buche. Häufigster Abnehmer war Sturmspitze Daniele Massaro mit zwölf Treffern, der trotz Capellos Defensivfußball insbesondere in der Rückrunde herausstach.
Champions League-Triumph
Nur logisch, dass Capello auch in der Königsklasse auf seinen erprobten Ergebnisfußball setzte. Trotz glanzloser Auftritte wie gegen Arau oder Anderlecht drang man ungeschlagen bis ins Halbfinale vor, in dem man den AS Monaco mit 3:0 schlug. Im Finale von Athen wartete nun Cruyffs scheinbar unschlagbares Barcelona. Trotz massiver Ausfälle düpierte der italienische Catenaccio den spanischen Tiki-Taka-Fußball und schaffte in krasser Außenseiterrolle den bis heute höchsten Champions League-Finalsieg mit 4:0. Selbst der siegessichere Cruyff musste Capellos taktische Meisterleistung anerkennen.
Milan wird es ziemlich schlecht gehen, denn es ist unmöglich, uns zu stoppen. – Johan Cruyff
Unvergessliche Saison
Die Saison 1993/1994 bleibt speziell in statistischer Hinsicht einer der denkwürdigsten. Nie gab es in Europas Topligen einen torungefährlichen Ligameister als den AC Milan dieser Saison. Völlig untypisch für diese Saison schlägt man im Champions League-Finale den Favoriten aus Barcelona deutlich und sorgt mit nur 17 Gegentoren in 46 Liga- und Europokalspielen für eine unvergessliche Saison.