Man sieht schon schon, dass wir uns […] entwickelt haben.
Stefan Leitl in der Sportschau nach dem Sieg gegen Fürth.
Stefan Leitl hatte sich in den vergangenen Jahren als Trainer in Fürth einen guten Ruf in der Branche erarbeitet. Der Spielstil in Fürth definierte sich über ein intensives Pressing, viele Abschlüsse und einen ballbesitzorientierten Fußball – überwiegend gespielt mit einer Raute im Mittelfeld. Der Weg bis dahin, der im Aufstieg mündete, ging nicht von heute auf morgen. Ähnliches sieht man aktuell auch in Hannover.
Zum Auftakt in Kaiserslautern probierte Leitl mit der Mittelfeldraute und viel Kurzpassspiel zum Erfolg zu kommen. Der Matchplan stoß, wenn auch aufgrund eines unglücklichen Spielverlaufs, an Grenzen. Auch wenn man das Spiel unter Kontrolle hatte, fand man wenig Lösungen gegen die kompakte Struktur der Pfälzer, die mit klugen Mannorientierungen den Spielaufbau Hannovers erschwerten.
Ein Schritt zurück, zwei nach vorne
Gegen St. Pauli, Paderborn und mitunter auch gegen Regensburg zeigte man zwar immer wieder gute Ansätze, hatte defensiv aber vor allem nach Ballverlusten große Probleme und ließ deutlich zu viele Abschlüsse der Gegner zu (derzeit mit 101 gegnerischen Torschüssen die meisten der Liga). Leitl zeigte sich sehr flexibel und reagierte dadrauf – in vieler Hinsicht.
Wer gut ist, darf spielen.
Personell: Nach dem Sieg gegen Regensburg bemängelte Leitl die Einstellung einiger Spieler. Die Stars rund um Schaub, Beschuskow und Kerk (nach Leih-Stürmer Beier die Spieler mit dem höchsten Marktwert Hannovers) fanden sich im nächsten Spiel auf der Bank wieder. Auch der Altersschnitt veränderte sich dadurch signifikant. Von 27 Jahren zu 25,8 Jahren im Schnitt. Stefan Leitl setzt auf das Leistungsprinzip. Leopold, Tresoldi und Co zahlen das Vertrauen bislang zurück. Während viele Trainer davon reden, jungen Spieler eine Chance zu geben, wird dies in Hannover auch wirklich in die Tat umgesetzt.
Taktisch: Zum Spiel gegen Magdeburg stellte Leitl auch sein System um. Weg von der Raute hin zum 5-2-1-2. Im Spiel gegen den Ball änderte sich dadurch gar nicht so viel. Auch mit einem Mann weniger im Mittelfeld sind die statistsichen Werte konstant gut. Mit 458 Defensivzweikämpfen hat man ligaweit die meisten bestritten. Der PPDA-Wert ist ein Parameter für den Pressingdruck und misst die Anzahl der gegnerischen Pässe, bis diese durch die eigene Mannschaft unterbunden werden. Hier steht Hannover in vorderen Regionen, was zeigt, dass der gegnerische Spielaufbau früh unterbunden wird. Für Ähnliches steht der Parameter „Herausforderungsintensität„. Er misst die Anzahl an eigenen Defensivaktionen pro Minute gegnerischem Ballbesitz. Auch hier steht die Elf von Leitl mit „6.8“ im vorderen Drittel der Liga.
37% Ballbesitz ist nicht das, was ich mir vorstelle. Aber das war heute zwingend notwendig, um zu bestehen.
Im Spiel mit Ball sind die Unterschiede deutlicher zu sehen. Wer dachte, Leitl könne nur sein Konzept aus Fürth spiegeln und 1:1 durchdrücken wollen, sah sich schnell getäuscht. Zuletzt streute man vermehrt lange Bälle in der Eröffnung ein und attackierte deutlich schneller die Tiefe. Nicht von ungefähr hat man derzeit „nur“ 48% Ballbesitz im Schnitt, was Platz 11 der 2. Liga bedeutet. Einen Platz weiter hinten steht man sogar in Sachen Passquote und der Anzahl gespielter Pässe. Die technisch starken 96er setzen offensiv auf viele Dribblings und 1 gegen 1 Aktionen, um Tempo aufzunehmen und Überzahlsituationen zu schaffen.
Unabhängig von System und Taktik kann man bereits einige Leit(l)-Prinzipien erkennen – frühes Pressing und aggressive Zweikampfführung. Auch das lässt sich natürlich statistisch belegen. Die zweitmeisten Karten, die drittmeisten Fouls sowie die vierthöchste Laufdistanz stehen sinnbildlich für das aktuelle Hannoveraner Erfolgskonzept. Durch das gewonnene Selbstvertrauen kann man davon ausgehen, dass demnächst auch noch mehr spielerische Akzente der Niedersachsen gesetzt werden, was Leitl auch bereits ankündigte.
Königstransfer Håvard Nielsen?
Ihr kennt meine Meinung über Howie. Howie ist ein extrem wichtiger Spieler, ich messe ihn nicht nur an Toren.
Zusammen mit Trainer Leitl kam auch der Norweger Nielsen vom Fürther Kleeblatt. Anfangs zeigten sich einige Hannoveraner Fans enttäuscht über den wenig klangvollen Namen des Offensivspielers im Vergleich zu einigen anderen gehandelten Stürmern. Die Enttäuschung dürfte spätestens nach den letzten Spielen gewichen sein. Auf der letzten Pressekonferenz hob Leitl die Wichtigkeit seines Schützlings einmal mehr hervor.
In allen Siegen agierte Nielsen über die volle Distanz auf der „10„, auch wenn der Neuzugang kein klassischer Spielmacher ist. Seine größte Stärke ist seine extreme Spielintelligenz. Vor allem im Pressingverhalten ist er derzeit der wichtigste Spieler Hannovers, der Timing und Pressinghöhe steuert. Auch in Sachen Intensität passt er hervorragend in das Spiel der Niedersachsen. Satte 76 Zweikämpfe konnte er bislang gewinnen – ein herausragender Wert für einen Offensivspieler zu dem frühen Zeitpunkt der Saison. Ähnliches gilt für die Foulstatistik. Am vierthäufigsten in der Liga störte der Norweger seinen Gegenspieler regelwidrig – häufig mit cleveren taktischen Fouls. Mit 11,3 Kilometern pro 90 Minuten zeigt sich der Offensivspieler auch als sehr lauffreudig. Dank seines guten Instinkts und Stellungsspiels bringt es Nielsen bislang auf 4 Scorerpunkte, 3x konnte er selbst schon einnetzen. Zuletzt auch zum wichtigen Sieg gegen Fürth. Insgesamt war Hannovers Königstransfer schon 27x im gegnerischen Sechzehner am Ball – ein starker Wert!
Ähnlich begeistert ist man in Hannover sicherlich über Derrick Köhn, der zuvor in der niederländischen Eredivisie aktiv war. Der 23-Jährige ist wie gemacht für die Rolle des linken Schienenspielers und bringt vor allem im physischen Bereich alle Anlagen für den modernen Außenverteidiger mit. Wenn Leitl ihn fußballerisch weiterentwickeln kann, kann er ähnlich brillieren wie David Raum in Fürth. Köhns Offensivpotenzial ist durch sein Tempo und den starken linken Fuß sehr groß. Mit aktuell 44 Dribblings hat er ligaweit die mit Abstand meisten bestritten. Manchmal noch ein bisschen „mit dem Kopf durch die Wand“, aber die Ansätze sind extrem vielversprechend. Nicht umsonst konnte er bereits 2 Tore vorbereiten und eines selbst erzielen.
Leitls Hannover kommt ins Rollen
Abschließend lässt sich sagen: Ja, Leitls Hannover kommt ins Rollen! Auch wenn spielerisch und in der Konsequenz nach vorne noch Luft nach oben sind, erkennt man von Spiel zu Spiel eine Steigerung. Die zuletzt eingefahrenen Siege bestätigen dies. Stefan Leitl hat frischen Wind nach Hannover gebracht und die Euphorie zurückgebracht. Sein Selbstbewusstsein kommt gut an – manche öffentliche Äußerungen sind sehr fordernd, aber nicht reißerisch. Leitl weiß, was er will und was er erwarten kann.
Regelmäßige Beobachter des Trainings können bestätigen, dass mit so viel Akribie und Liebe zum Detail wohl seit Ralf Rangnick nicht mehr in Hannover gearbeitet wurde. Der Kader ist auch in der Breite stark besetzt und ermöglicht es Leitl, auf Gegner und Form zu reagieren. Hält man an der 5er-Kette fest, täte lediglich ein weiterer Innenverteidiger gut.
Für was es am Ende der Saison reicht, wird man sehen. Andere Teams sind in ihrem Gebilde sicherlich eingespielter und auch individuell etwas stärker besetzt. Bei 96 hängt viel von der schnellen Weiterentwicklung ab, was auch vollkommen normal ist. Hält man die jungen Talente um Leopold, Köhn und Tresoldi zusammen, ist unter der Führung von Mann und Leitl die Bundesliga bald wieder ein realistisches Szenario.
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