Werder Bremen: guter Trainer – schlechter Kader?
Als man am 15. Spieltag der vergangenen Saison mit 2:1 in Kiel verlor, schien für viele Werderaner der Traum vom direkten Wiederaufstieg bereits geplatzt. Platz 10 und 9 Punkte Rückstand auf den zum Aufstieg berechtigten 2. Platz sorgten für Tristesse in Bremen – ganz zu schweigen vom Wirbel um den geschiedenen Trainer Markus Anfang. Entgegen der Philosophie der vorherigen Jahre entschied man sich nach Anfang erneut gegen einen Trainer mit Stallgeruch und verpflichtete den inzwischen 34-jährigen Ole Werner, der nach vermaledeitem Saisonstart seine erfolgreiche Zeit bei Holstein Kiel auf eigenen Wunsch beendete. Einige Monate später darf sich die sportliche Leitung um Frank Baumann und Clemens Fritz nach dieser Verpflichtung gegenseitig auf die Schultern klopfen. Bekanntermaßen schaffte Ole Werner auf Anhieb die Kehrtwende und sammelte mit seiner Mannschaft aus den ersten 10 Partien unter seiner Leitung 28 von 30 möglichen Punkten. Am Ende einer turbulenten Saison stand der Aufstieg in die 1. Bundesliga. Nicht zuletzt dank einem Trainer, der einen klaren Plan vom Fußball verfolgt.
Werners Abschied nach 15 Jahren in Kiel
In den vergangenen zwei Tagen haben wir, meine Person und das gesamte Präsidium, dennoch in persönlichen Gesprächen versucht, ihn vom Gegenteil zu überzeugen und davon, den gemeinsam eingeschlagenen Weg weiterzugehen. Leider konnten wir ihn nicht umstimmen.
Die Aussagen von KSV-Geschäftsführer Uwe Stöver nach Werners Rücktritt zeigen, welch hohen Stellenwert der Trainer bei den „Störchen“ genoss. 15 Jahre lang war Werner zunächst als Spieler und dann als Trainer bei der Holstein tätig. 2019 übernahm der gebürtige Preetzer erstmals die Profimannschaft. Mit attraktivem Offensivfußball verpasste man 2021 in der Relegation den Aufstieg in die Bundesliga.
Werners Spielweise bei Werder Bremen
Dass Werner auf klare Strukturen im eigenen Spiel wert legt, war auch von Beginn an seines Engagements in Bremen zu erkennen. Als strukturschaffende Basis fungierte Werners 5-3-2-Grundordnung, die ausschließlich seit Amtsantritt Anwendung fand. Fokus lag grundsätzlich auf schnellem Vertikalspiel durchs Zentrum. Die beiden Halbverteidiger suchten dabei immer wieder die ausweichende Doppelspitze. Damit genügend Raum für Vertikalbälle durch das Mittelfeldzentrum des Gegners entstand, waren die beiden zentralen Mittelfeldspieler des SVW verantwortlich. Stets umtriebig bewegten sie sich zwischen den Linien des Gegners und wichen gern auf den Flügel auf, um den Gegner auseinander zu ziehen. Aufgrund eines asymmetrischen Aufbaus war es meist nur der rechte Außenverteidiger, der für Breite im Spiel sorgte. Sein Pendant komplettierte eine verkappte Viererkette. Auf der anderen Seite war häufig Marvin Duksch zu finden, der von dort aus mit seinem starken rechten Fuß gerne in die Mitte zog. Sobald die erste Linie des Gegners überspielt war, zeigte sich die individuelle Klasse der Bremer Offensive.
Zwar agierte man stets in der selben Grundordnung, dennoch zeigte sich Werner als taktisch flexibel. Je nach Gegner und Spielweise war man in der Lage, taktisch zu reagieren, ohne die Grundidee des eigenen Spiels zu verlassen. Gerade für das Spiel durchs Zentrum gab Werner seiner Mannschaft viele Lösungen mit auf den Weg. Auch bei tief und kompakt verteidigenden Gegnern behielt man die Ruhe. Durch geduldige Ballzirkulation mit häufigen Spielverlagerungen wartete man geduldig auf Lücken im gegnerischen Defensivverbund.
Beim Spiel gegen den Ball gab man dem Gegner oftmals nur wenig Zeit, das eigene Spiel zu forcieren. Mit hohem, mannorientierten Pressing sollte der Gegner möglichst früh unter Druck gesetzt werden.
Taktische Anpassungen in der Bundesliga?
Dass man mit dem Aufstieg in Liga 1 in Zukunft nicht mehr so dominant auftreten wird, ist selbstredend. Während es in der 2. Bundesliga überwiegend um den Durchbruch ins letzte Drittel ging, wo oftmals die individuelle Klasse zum Tragen kam, bedarf es in der Bundesliga an mehr Flexibilität. Dennoch will Werner wohl an seiner erprobten 3-5-2-Grundordnung festhalten, wie er bereits kurz nach Saisonende via „deichstube.de“ erklärte:
Ich halte eine Grundordnung für sinnvoll, von der man dann andere Grundordnungen ableitet. [..] Viele Lösungen sehen in einem 4-3-3 gar nicht so groß anders aus als in einem 3-5-2. Diese beiden Grundordnungen sind erstmal in meinem Kopf für die Vorbereitung auf die neue Saison.
Bereits vergangene Saison konnte man erkennen, dass Werners asymmetrische Interpretation der 3-5-2 Grundordnung durchaus einem 4-3-3 ähnelt. Und auch in der Vorbereitung konnte man diese Formation in Werders Spiel erkennen. So beispielsweise auch bei der Generalprobe gegen einen überforderten FC Groningen, den man mit 6:1 abfertigte. Selbst wenn es die erste Bundesligasaison für den noch jungen Trainer Ole Werner ist, kann man ihm durchaus zutrauen, die richtigen Lösungen anhand seiner Grundidee zu finden.
Bremens Kaderqualität ausreichend?
Bleibt nur die Frage, ob man auch das nötige Spielermaterial für einen Klassenverbleib besitzt. Denn laut „transfermarkt.de“ verfügt nur der VfL Bochum über einen geringeren Kaderwert als der SV Werder Bremen.
Stabile Abwehr
Mit 134 Bundesligapartien auf dem Buckel dürfte die Erstligatauglichkeit von Torhüter Jiri Pavlenka unbestritten sein.
Ähnlich sieht es in der Innenverteidigung aus. Zwar verlor man mit Ömer Toprak einen wichtigen und erfahrenen Mann, konnte aber mit Niklas Stark und Amos Pieper zwei gestandene Bundesligaprofis für diese Position verpflichten. Während die beiden Neuzugänge um den letzten Platz in der 3er-Kette streiten dürften, scheinen Milos Veljkovic und Kapitän Marco Friedl gesetzt.
Ebenfalls breit aufgestellt ist man auf den Außenverteidigerpositionen. Der schnelle Felix Agu wird seine Bundesligaqualitäten noch unter Beweis stellen müssen. Der erfahrene Mitchell Weiser hingegen hat schon weit über 100 Bundesligaspiele vorzuweisen und kann als Rechtsverteidiger vor allem offensive Akzente zum Bremer Spiel beitragen. Fraglich sind seine in der Bundesliga vermehrt gebrauchten Defensivqualitäten.
Für defensive Stabilität auf der linken Abwehrseite sorgte vergangene Saison Anthony Jung. Aber auch er verfügt über kaum Bundesligaerfahrung. In der Vorbereitung überzeugen konnte der 21-jährige Neuzugang Lee Buchanan. Konträr zu Jungs Spielweise sucht der junge Engländer den Weg nach vorne, um die Stürmer mit Flanken zu bedienen. Er könnte die Überraschung der Saison werden.
Fragezeichen im Mittelfeld
Als größte Baustelle im Werder-Kader gilt die Position vor der Abwehr, wo aktuell der 33-jährige Christian Groß die Nase vorne hat. Aber warum eigentlich? Freilich zeichnet sich das Spiel des Defensivmanns nicht durch technische Kabinettstückchen aus. Dennoch agiert Groß in der Regel sehr ruhig am Ball und kann die beste Passquote alle Bremer in der Aufstiegssaison vorweisen. Zudem gewann keiner seiner Defensivkollegen mehr Zweikämpfe. Beim Spiel nach Vorne zeigte Groß seine Cleverness und öffnete durch unruhestiftende Läufe in das kompakte Mittelfeldzentrum des Gegners Räume. Wieso auch nicht in der Bundesliga?
Hinter Groß steht mit Ilia Gruev ein entwicklungsfähiger junger Spieler. In seiner ersten Profisaison durfte der 22-jährige Sechser bereits 26mal das Trikot für Werder überstreifen. Sollten die Bremer noch einmal aktiv werden auf dem Transfermarkt, rückt sicherlich die Sechserposition ins Licht.
Gleiches gilt für das zentrale Mittelfeld, obwohl man mit dem Dänen Jens Stage mit 4 Mio. € Ablöse bereits tief in die Tasche griff. Der 25-jährige vielseitige Mittelfeldspieler soll mit seinen Defensivqualitäten für mehr Stabilität sorgen. Erste Vergleiche mit Thomas Delaney werden bereits gezogen. Trotzdem fehlt den Bremern womöglich noch ein offensiverer Gegenpart zum Neuzugang. Ob Bittencourt, Schmid oder Schmidt diesen ausfüllen können, bleibt abzuwarten. Insbesondere von Leonardo Bittencourt, der zwar fleißig gegen den Ball arbeitet, aber häufig unnötig den Ball verliert, erwartet man sich mehr in Bremen.
Eingespielte Offensive
Dagegen abgeschlossen dürfte die Kaderplanung in vorderster Front sein. Denn mit den selbsternannten „hässlichen Vögeln“ Marvin Ducksch und Niclas Füllkrug hat man ein eingespieltes Duo in der Sturmspitze. Mit kumuliert 39 Toren und 18 Vorlagen mischten sie im letzten Jahr die zweite Liga auf und dürften auch in der Bundesliga für Unruhe beim Gegner sorgen. Als Backup verpflichtete man den 25-jährigen Schotten Oliver Burke von Sheffield United. Der von RB Leipzig bekannte Stürmer galt als großes Talent, weshalb bisher bereits knapp 37 Mio. € an Ablöse in seine Personalie investiert wurden. In diesem Jahr will der ablösefreie Neuzugang unbedingt den Stempel des ewigen Talents ablegen. Auch er hat das Potential, in dieser Saison zu überraschen.
Bundesligatauglich?
Es kommt nicht von ungefähr, dass der Kaderwert von Werder Bremen in dieser Bundesligasaison nur einmal unterboten wird. Denn auf einigen Positionen darf die Bundesligatauglichkeit zumindest in Frage gestellt werden. Gleichzeitig besteht Potential, dieses Niveau zu erreichen. Zudem verfügt man mit Innenverteidigung und Sturmspitze eine starke Achse, die auch in Deutschlands höchster Spielklasse funktionieren kann – und muss! Auch Ole Werner, der grundsätzlich zufrieden mit dem Kader ist, schätzt die Dinge bei „kreiszeitung.de“ realistisch ein:
Auch wenn der Name Werder Bremen nach wie vor groß ist – von den Rahmenbedingungen her zählen wir zu den kleineren Mannschaften. [..] Es wird bei uns nur über die Gruppe gehen.
Anders als in Liga 2 wird Ole Werner auch die passende Taktik für eine „kleine Mannschaft“ in der Bundesliga parat haben. Grundlage bleibt mannschaftliche Geschlossenheit, die von Spieltag 1 an an den Tag gelegt werden muss. Denn mit Wolfsburg, Stuttgart, Dortmund und Frankfurt steht ein durchaus anspruchsvolles Auftaktprogramm in der Bundesliga vor der Tür. Um nicht direkt in eine Negativspirale zu rutschen, muss Werder auch aus diesen Spielen Punkte mitnehmen. Abschließend kann man sagen, dass die Kombination aus Trainer und Mannschaft allemal einen Platz unter den Top-15 Deutschlands hergibt. Und wer weiß: vielleicht überrascht der ein oder andere junge Spieler (Woltemade, Dinkci, Chiarodia), der bei vielen noch nicht ganz oben auf dem Zettel steht.
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Beitragsbild(zugeschnitten & bearbeitet) bestehend aus:
Silesia711, MarvinDucksch, CC BY-SA 4.0
Silesia711, NiclasFüllkrug, CC BY-SA 4.0
Markus Unger, 2014-10-24_Werder16, CC BY 2.0
Silesia711, OleWerner, CC BY-SA 4.0