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„Parking the bus“ – Mourinhos AS Rom in der Analyse

Mit 22 Punkten aus 10 Spielen gelang der AS Rom der beste Saisonstart seit sechs Jahren. Dennoch gibt es immer wieder Kritik an der Taktik José Mourinhos. Zu Recht? Ballorientiert analysiert!
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Für die Medien dreht sich alles um Schüsse, Statistiken, aber was wir wirklich brauchen, sind Tore, sonst gewinnen wir nicht. Wenn man Spiele nach der Anzahl der Chancen gewinnen würde, stünden wir an der Spitze der Tabelle.

Tatsächlich ist die Torausbeute von José Mourinhos AS Rom in dieser Serie A-Saison noch ausbaufähig. Lediglich 13 Tore stehen nach 10 Spieltagen auf der Habenseite der Römer. Eigentlich zu wenig, wenn man die angestrebte Rückkehr in die Champions League bewerkstelligen möchte. Aber aktuell dennoch genug, um mit bereits 22 gesammelten Punkten den Kontakt zum Tabellenführer SSC Neapel zu halten. Dass eine Mourinho-Mannschaft nicht für Spektakel und viele Tore steht, ist hinlänglich bekannt. Dennoch lassen sich Mourinhos Beobachtungen der mangelhaften Chancenverwertung auch statistisch belegen. Laut expected goals (erwartbare Tore anhand der Chancenqualität) hätte man bereits sechs Tore mehr erzielen müssen. Hält man diesen statistisch potentiellen Outcome in einer Tabelle fest, so wäre – wie von „Mou“ richtig vermutet – der AS Rom nach „expected Points“ Tabellenführer der Serie A. Damit dieses Szenario auch bald wieder Realität wird, hat man am kommenden Sonntagabend die Chance, sich im direkten Duell dem vier Punkte entfernten Spitzenreiter SSC Neapel anzunähern.



Mourinho entfacht Euphorie in Rom

Doch auch ohne Tabellenführung und Champions League-Fußball konnte José Mourinho seit seinem Amtsantritt im letzten Sommer viel in der italienischen Hauptstadt bewegen. Das beweist schon der Blick auf die Zuschauerzahlen im Stadio Olimpico. Fast 42.000 Menschen strömten letzte Saison durchschnittlich zu den Heimspielen der Roma – so viele wie seit über 17 Jahren nicht mehr. Wenngleich es „nur“ die Conference League war, so entfachte der erste europäische Titel in der Vereinsgeschichte eine neue Euphorie bei AS Rom. Aber nicht nur Fans, sondern auch namhafte Spieler interessieren sich für Mourinhos Projekt. Mit Wijnaldum, Matic, und Dybala entschieden sich internationale Top-Stars für einen Wechsel in die Hauptstadt Italiens. Dementsprechend sind auch in dieser Saison die Hoffnungen auf Erfolge groß, wie der Zuschauerschnitt von fast 62.000 in den ersten vier Heimspielen zeigt.

Ein Trainerfuchs auf der Bank. Starke Spieler auf dem Platz. Euphorische Fans auf den Rängen. Und ein gelungener Saisonstart. Was soll den AS Rom noch an einer erfolgreichen Saison hindern? Blickt man auf die Art und Weise des gespielten Fußballs, so gibt es durchaus Zweifel.

Parking the bus

Nicht ohne Grund wurde der Begriff „Parking the bus“ in Verbindung mit der defensiven Spielweise von Mourinho-Mannschaften geprägt. Der erhöhe Fokus auf die Defensive lässt sich auch in dieser Saison beim AS Rom anhand verschiedener Parameter belegen.

Tief stehen – wenig pressen

So verteidigt bspw. nur der FC Empoli tiefer als der AS Rom. Durchschnittlich findet eine Defensivaktion der Römer 42 Meter vor dem eigenen Tor statt. Zum Vergleich: beim AC Florenz sind es fast 50 Meter. Statt frühem Pressing lässt man den Gegner kommen und fokussiert sich auf eine stabile Defensive. Dementsprechend verzeichnet der Gegner im Aufbauspiel eine recht hohe Passquote von 84% – bei den Gegnern des AC Florenz sind es lediglich 75%. Nochmals untermalt wird dieser Wert vom Pressingparameter „PPDA“: durchschnittlich lässt man den Gegner 13 Pässe im Aufbauspiel spielen, ehe es zu einer Defensivaktion kommt. Der Großteil der Serie A versucht den Gegner deutlich früher zu stören, wodurch der Liga-Durschnitt bei 11 Pässen pro Defensivaktion liegt.



Wenig Chancen für den Gegner

Dass sich diese defensive Spielweise durchaus bezahlt macht, zeigt der Blick auf die erwartbaren Gegentore (xG against), die in dieser Saison keiner weniger zuließ als die Roma mit 8,7. Dies liegt vor allem daran, dass man dem Gegner nur selten eine aussichtsreiche Abschlussmöglichkeit gewährt. Während im Ligadurchschnitt die Torwahrscheinlichkeit pro Abschluss bei rund 11% liegt, sind es bei den Gegnern der Roma nur 8%. Mit Abstand Ligaspitze!

Als Pfeiler für die defensive Stabilität in Mourinhos 3-4-2-1-Formation fungiert die 3er-Innenverteidigung mit Ibanez, Mancini, und Smalling. Besonders letzterer verliert in dieser Saison kaum ein Defensivduell und ist mit einer Erfolgsquote von 83% der beste Zweikämpfer der Liga. Darüber hinaus ist der 32-jährige Engländer mit drei Saisontoren der zweitbeste Torjäger der Römer.

Mangelnde Kreativität in der Offensive?

Dass ein Innenverteidiger zu den treffsichersten Spielern gehört, beschreibt allerdings auch die Offensivprobleme der Gelb-Roten. Wie sich unschwer erraten lässt, waren alle drei Smalling-Tore das Produkt einer Pellegrini-Standardsituation. Dazu kommen vier weitere Tore der Roma per Eckball, Freistoß oder Elfmeter. In der Folge stehen nur sechs eigene Tore aus dem Spiel heraus, was in der bisherigen Serie A-Saison nur von drei Teams unterboten wird. Was der Fan als unattraktiven Fußball wahrnimmt, schlägt sich in der mangelnden Chancenkreation aus dem Spiel heraus nieder. Zwar kommt man mit 12,5 Schüssen pro Spiel relativ häufig zum Abschluss, jedoch entspringen nur etwas mehr als die Hälfte (6,5) dieser Schüsse aus dem eigenen Positionsspiel. Besonders deutlich wird diese mangelnde Kreativität beim Blick auf den SSC Neapel, der über 11 Schüsse pro Spiel aus dem eigenen Positionsspiel kreieren kann. Zu selten gelingt der Roma der Durchbruch ins letzte Drittel mit Pässen auf die beiden Halbstürmer, weshalb auch Sturmspitze Abraham neben seiner ausbaufähigen Chancenverwertung bisher nur auf zwei Ligatore kommt.

Nicht schön, aber erfolgreich!

Nicht schön – aber erfolgreich! So könnte man den ergebnisorientierten Fußball von José Mourinho zusammenfassen. Der Blick auf seine Vita sowie auf die aktuelle Tabelle der Serie A gibt ihm Recht. Er ist kein Trainer, der von seiner Mannschaft pure Dominanz fordert, sondern auch – wie in dieser Saison – mit 50% Ballbesitz gut zu Recht kommt. Während eine Mannschaft wie der SSC Neapel sich über das eigene Positionsspiel zu Chancen kombiniert, kommt der AS Rom vermehrt über Standards und Umschaltaktionen zu seinen Chancen. Ohnehin erspielt sich – in welcher Form auch immer – bisher kein Team der Serie A größere Tormöglichkeiten (0,14 xG pro Schuss) als der AS Rom. Der Schlüssel bleibt die Balance. Wer wenig in der Defensive zulässt, dem reicht oftmals auch ein einziges Tor in der Offensive zum Sieg. Bereits dreimal konnte man ein Spiel mit einem 1:0-Sieg über die Zeit bringen.



Mourinhos Flexibilität

Bei all der Relevanz und Aussagekraft der angeführten Performance-Daten, sollte nicht vergessen werden, dass es sich um Durchschnittswerte handelt. Dadurch geht José Mourinhos Flexibilität in der Herangehensweise einer Partie etwas unter. Denn beim Pressingparameter PPDA ist bspw. eine große Varianz zu erkennen. Je nach Gegner, Spielsituation und Ergebnis verändert Mourinho die Pressingintensität und -linie seiner Mannschaft. Während man sich gegen namhaftere Gegner wie Juventus und Inter mit dem Pressing zurückhielt, versuchte man zuletzt gegen Lecce und Sampdoria möglichst früh den Gegner unter Druck zu setzen. Auf Spielverläufe und Gegner reagieren – eine Fähigkeit, die alles andere als selbstverständlich ist. Denn heutzutage geht so mancher Trainer vorzugsweise mit Plan A unter, anstatt Plan B, C oder D in der Tasche zu haben.

Bester Start seit sechs Jahren

Letztendlich ist die Kritik an der Spielidee José Mourinhos alles andere als neu – ebenso wie der Erfolg. Mit 22 Punkten aus 10 Spielen gelang der Roma der beste Saisonstart seit 2016. Sowohl die Statistik als auch die Tabelle lassen aktuell wenig objektive Kritikpunkte zu. Lediglich die Chancenverwertung der Römer muss besser werden, was ausschließlich an den Spielern auf dem Platz liegt.

Über die Attraktivität kann man noch so oft diskutieren. Die hochdekorierte Trainerlegende José Mourinho wird sicherlich nicht im Alter von 59 Jahren seine Grundsätze aus Ästhetikgründen über den Haufen werden. Am Ende zählt der Erfolg, welchen „Mou“ bei nahezu allen seinen Stationen vorweisen kann. Eine Qualifikation für die kommende Champions League-Saison der Roma würde sicherlich dazuzählen.

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Quellen:
wyscout.com / whoscored.com / transfermarkt.de
Steffen Prößdorf, José Mourinho 2020 (cropped), CC BY-SA 4.0

Co-Founder & Analyst bei ballorientiert

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