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Juventus Turin in der Analyse – mehr Glück als Verstand?

Seit nunmehr 8 Spielen ist Juventus Turin punktverlustfrei und gegentorlos und konnte sich von Rang 8 auf Rang 2 verbessern. Dennoch scheint Allegris Ergebnisfußball nicht überall Anklang zu finden. Sind die aktuellen Ergebnisse vielmehr ein Produkt aus Glück und Unvermögen des Gegners? Ballorientiert analysiert vor dem Topspiel gegen den SSC Neapel die bisherige Saison der alten Dame.
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Juventus Turin marschiert Richtung Tabellenspitze

8 Spiele – 8 Siege – 8-mal ohne Gegentor. Aktuell könnte es in der Serie A wohl kaum besser laufen für Juventus Turin. Nach holprigem Start und Platz 8 nach 9 Spieltagen konnte man sich mit dieser fulminanten Serie auf Platz zwei hinter den SSC Neapel hocharbeiten. Demensprechend optimistisch dürfte es zum Topspiel am 18. Spieltag zu den Neapolitaner gehen, um den Rückstand auf die Tabellenspitze auf gar vier Punkte zu verkürzen.

Allegri in der Kritik: mehr Glück als Verstand?

Doch obwohl das letzte Gegentor in der heimischen Liga bereits drei Monate zurückliegt, teilen nicht alle Fans den Optimismus ob der vergangenen Leistungen. Dies geht teilweise so weit, dass die Zukunft von Trainer Massimiliano Allegri bei Juve angezweifelt wird. Der Vorwurf: es sei keine klare Spielidee zu erkennen und die Ausbeute der letzten Wochen sei mehr Glück als Verstand. Aber kann eine Mannschaft wirklich nur durch Glück achtmal in Folge ohne ein einziges Gegentor gewinnen? Der Blick auf die Expected Goals Against (erwartbaren Gegentore anhand der Chancenqualität) kann diesen Verdacht zumindest nicht ganz entkräften. Demnach hätten die gegnerischen Mannschaften gemessen an Anzahl und Qualität ihrer Chancen rund sechs statt gar keinem Tor erzielen müssen.

Eine zugegebenermaßen große Diskrepanz, aber bei Weitem kein Grund, die bisherigen Leistungen auf Glück zu reduzieren. Stattdessen macht es viel mehr Sinn, sich einen Gesamtüberblick über die bisherige Performance von Juventus Turin in der Serie A zu verschaffen.



Kaum Top-Chancen für den Gegner

Dass man bisher erst 7 Gegentore in 17 Spielen hinnehmen musste, liegt zum einen daran, dass man dem Gegner nur wenig gute Abschlusspositionen ermöglicht. Während der durchschnittliche Torschuss in der Serie A eine Torwahrscheinlichkeit von rund 12% besitzt, sind es bei den Gegnern der alten Dame lediglich 8,5% – und damit Tiefstwert in der Liga. Da man für eine Top-Mannschaft tief verteidigt, hat der Gegner meist nur wenig Möglichkeiten, Raum hinter der letzten Kette oder im Sechzehner zu finden.

Zu passiv gegen den Ball?

Obwohl Juventus nur wenig gute Chancen zulässt, liegen die Expected Goals Against mit einem Wert von 17 ganze 10 Punkte über dem tatsächlichen Wert von 7 Gegentoren. Kein Team profitiert mehr von der schwachen Chancenverwertung des Gegners. Grund dafür ist folglich nicht die Qualität, sondern die Quantität der zugelassenen Schüsse, die mit über 11 pro 90 Minuten nur von sechs Teams überboten werden. Daraus lässt sich ableiten, dass das Team von Allegri offensichtlich zu passiv verteidigt. Sowohl Intensität gegen den Ball als auch das Verteidigen gegen Raum und Mann sind bestenfalls nur Mittelmaß.

Erfahrung und Klasse in der Abwehr

Nichtsdestotrotz scheint man zumindest ein gutes Timing für wichtige Defensivaktionen zu haben. Zwar verfügt die Verteidigung um Bremer, Danilo und Bonucci über keine herausragenden Defensivwerte. Jedoch scheint sich die Erfahrung und Klasse in den entscheidenden Momenten bezahlbar zu machen. Denn immerhin kann man hinter dem AS Rom und dem SSC Neapel die drittwenigsten erwartbaren Gegentore der Liga vorweisen.

Balance entscheidend

Auch wenn die Art und Weise der Abwehrarbeit von Juventus nicht immer der eines Top-Teams entspricht, so kann sie insgesamt trotzdem als gut eingestuft werden. Allerdings ist die Gesamtbewertung einer Mannschaft immer von der Balance zwischen den einzelnen Teilen abhängig. Funktioniert die Offensive besonders gut, ist das ein oder andere Gegentor verkraftbar. Funktioniert die Defensive gut, reicht vorne manchmal nur ein einziges Tor – wie es beispielweise bei Juventus in 5 der letzten 8 Spiele der Fall war.

Zu wenig Kreativität und Risiko im Spiel mit Ball?

Wie dieser Fakt schon vermuten lässt, steht Juventus Turin nicht für Offensivfeuerwerk. Angesichts der wenigen Gegentore sind 26 Tore in 17 Spielen eine ordentliche Ausbeute. Zumal die Tordifferenz mit +19 die zweitbeste der Liga ist.



Gegner oft auf Augenhöhe

Ähnlich wie gegen den Ball steht auch im Spiel mit Ball die Risikominimierung an erster Stelle. Statt weit aufzurücken und viele Spieler im Angriffsdrittel zu positionieren, setzt man Wert auf ein kompaktes Zentrum, um gegen mögliche Konter gewappnet zu sein. In der Folge hat man zwar die wenigsten Ballverluste der Liga, kommt aber nur auf 16 Kontakte pro 90 Minuten im gegnerischen Strafraum – kein Team aus der oberen Tabellenhälfte verzeichnet weniger. Bei vielen Kreativparametern wie Dribblings, Steckpässen oder linienbrechenden Pässen bewegt man sich nur auf Ligadurchschnitt. So ist der ehemalige Serienmeister Italiens, der die wenigsten Angriffe der Liga aus dem eigenen Aufbauspiel heraus initiieren kann und ebenso viele Schüsse pro 90 Minuten abgibt wie zulässt. Ins Bild zur optischen Ausgeglichenheit vieler Spiele passt die Ballbesitzquote von 51%, die bei eigener Führung sogar auf 43% zusammenschrumpft.

Dass man grundsätzlich über Qualitäten im eigenen Ballbesitzspiel verfügt, zeigt die hohe Effizienz. Nur die Positionsangriffe des SSC Neapel münden prozentual gesehen häufiger in einem Torabschluss. Dennoch stehen 15 Tore aus Standards und Konter lediglich 11 Toren aus dem eigenen Spiel heraus gegenüber.

Ergebnisfußball

Schlussendlich gibt es viele Performance-Daten, die Juventus Turin aktuell nur wie eine Mittelfeldmannschaft aussehen lassen. Insbesondere im Angriffsspiel ist kein klarer Plan der Allegri-Elf zu erkennen. Stattdessen hält man sich mit vielen Standardtoren und einer stabilen Defensive über Wasser. Ob deswegen die Personalie Allegri in Frage gestellt werden sollte, scheint angesichts der aktuellen Serie zweifelhalft. Der Erfolg gibt Allegris Ergebnisfußball recht.

Verletzungspech

Zu berücksichtigen sind sicherlich noch die Verletzungssorgen, mit denen der Trainer zu kämpfen hat. Allen voran sind Paul Pogba, Federico Chiesa und Angel di Maria zu nennen, die kumuliert auf nur 470 Serie-A-Minuten in dieser Saison kommen. Ein Trio, das keine Mannschaft der Welt ohne Weiteres ersetzen kann und das selbstredend für mehr Kreativität und Gefahr sorgen würde.

Schwer zu schlagen

Dass man aktuell weit vom europäischen Top-Niveau entfernt ist, bewies die Champions League-Gruppenphase. Jedoch konnte man sich zumindest national in den letzten Wochen rehabilitieren. Auch wenn Juventus Turin nicht mit spielerischem Glanz überzeugt, bleibt man dennoch eine Mannschaft, die unheimlich schwer zu schlagen ist. So war es sicherlich nicht nur Glück, dass man diese Serie-A-Saison erst unfassbare 155 Minuten in Rückstand lag. Sollte dies auch in Neapel vermieden werden, stehen die Chancen auf den elften Zu-Null-Sieg der Saison nicht schlecht.

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Quellen:
wyscout.com
instat.com
transfermarkt.de
whoscored.com
Зенит, FC Zenit Saint Petersburg vs. Juventus, 20 October 2021 77, CC BY-SA 3.0
Валерий Дед, Turin Juventus Stadium 1, CC BY 3.0

Co-Founder & Analyst bei ballorientiert

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