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AS St. Etienne in der Analyse: Absturz in die Drittklassigkeit?

Der französische Rekordmeister AS St. Etienne steht ein halbes Jahr nach dem Abstieg aus der Ligue 1 nun vor dem Absturz in die Drittklassigkeit. Ballorientiert analysiert, was bei ASSE nicht funktioniert, was Hoffnung macht, und wie der Klassenerhalt noch gelingen kann.
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Abstieg aus Ligue 1 als Tiefpunkt für St. Etienne?

Die viertmeisten erzielten Tore. Den besten Torjäger und Scorer der Liga. Dazu der wertvollste Kader der Liga. Anhand dieser Tatsachen könnte man meinen, das Projekt Wiederaufstieg sei für den AS St. Etienne in vollem Gange. Wirft man allerdings einen Blick auf die Tabelle der Ligue 2, findet man den französischen Rekordmeister auf dem 20. und damit letzten Tabellenplatz wieder. Nach dem Abstieg im vergangenen Sommer nach 18 Jahren in Frankreichs höchster Spielklasse schien das größte Horrorszenario bereits überstanden. Insbesondere wenn man sich die Szenen nach der Niederlage im Relegationsspiel gegen AJ Auxerre in Erinnerung ruft, in denen die heißblütigen Fans der Grün-Weißen mit Feuerwerkskörper bewaffnet den Platz des heimischen Stade Geoffroy-Guichard stürmten.

Seit Spieltag 1 im Abstiegskampf

Fast exakt ein halbes Jahr später droht sogar der erstmalige Absturz in die Drittklassigkeit für den französischen Traditionsverein. Dabei sollte der große Umbruch vor der Saison ein Neuanfang werden. Doch schon spätestens nach dem vierten Spieltag schien dieser Versuch gescheitert. Vor heimischer Kulisse präsentierte man sich desolat gegen den jetzigen Tabellenführer Le Havre und verlor nicht nur mit 0:6, sondern kassierte obendrein noch drei Platzverweise. Aufgrund eines 3-Punkte-Abzugs ist man seit Spieltag 1 im Abstiegskampf der Ligue 2 und schaffte es bis heute nur einen Spieltag lang über dem Strich zu stehen. 

Große Disziplinlosigkeit bei St. Etienne

Ein großer Faktor für die aktuelle Erfolgslosigkeit von ASSE ist sicherlich die große Disziplinlosigkeit, die sich wie ein roter Faden durch die bisherige Saison zieht. St. Etienne kassierte mit 50 Verwarnungen nicht nur die meisten gelben, sondern mit acht Platzverweisen in 17 Partien auch die meisten roten Karten der Liga. In der Folge musste man bereits über 140 Minuten und damit fast 10% der Spielzeit der gesamten Saisonspielzeit in Unterzahl agieren. 



Schießbude der Liga

Die mangelnde Disziplin der Ostfranzosen macht sich allerdings nicht nur in der Fairplay-Tabelle bemerkbar. Der Grund, dass man trotz 24 erzielter Tore am Tabellenende steht, ist die schwache Defensivleistung. Mit 31 Gegentoren stellt man die schwächste Abwehr der Liga. Zwar lässt man mit nicht einmal 9 Schüssen pro Spiel weniger zu als der Ligadurchschnitt zu, jedoch sind diese Chancen des Gegners meist von großer Qualität. Denn im Schnitt beträgt die Torwahrscheinlichkeit eines gegnerischen Abschlusses über 15% und liegt damit deutlich über dem Ligadurchschnitt von 12%.

Löchrige Abwehr durch schlechte Raumverteidigung?

Es ist eine Mannschaft, der es an Effizienz mangelt, sowohl offensiv als auch defensiv.

– Trainer Laurent Batlles über die Probleme St. Etiennes

Als Beispiel für die fehlende Effizienz in der Defensive dient das Zweikampverhalten. Nur zwei Mannschaften können in der Ligue 2 eine schlechtere Zweikampfquote vorweisen als St. Etienne. Solange man die richtigen Zweikämpfe gewinnt, dürfte diese Quote allerdings verkraftbar sein, wie das Beispiel Bordeaux zeigt. Denn der Mitabsteiger steht trotz der zweitschlechtesten Quote auf Rang zwei der Tabelle. Viel alarmierender ist allerdings die Häufigkeit, in der sich ASSE in Zweikämpfe verwickeln lässt. Obwohl man mit einer Quote von 54% über den viertmeisten Ballbesitz der Liga verfügt, führt man gleichzeitig die fünftmeisten Defensiv-Zweikämpfe der Liga. Je mehr eigener Ballbesitz, desto weniger Zweikämpfe in der eigenen Defensive. Eine Folgerung, die grundsätzlich Sinn macht. Da dies bei St. Etienne nicht der Fall ist, liegt der Verdacht einer schlechten Raumverteidigung bei Angriffen des Gegners nahe. Und tatsächlich gibt es kein Team in der Ligue 2, das weniger Bälle des Gegners abfangen und somit den Raum verteidigen kann. Stattdessen kommt es immer wieder zu isolierten 1-gegen-1-Duellen, die bei negativem Ausgang für große Gefahr für das eigene Tor sorgen. Die schlechte Raumverteidigung einer Mannschaft ist sicherlich auch dem Konto des Trainers zuzuschreiben. Angesichts der Disziplinlosigkeit in den Zweikämpfen dürfte jedoch ebenso die Mannschaft ihren Anteil an der schwachen Defensivleistung haben.

Fehlende Stabilität in der Abwehrkette

Dass es durch die vielen Platzverweise schwer für den Trainer wird, eine eingespielte Stammelf zu formen, ist nicht überraschend. Dieses Problem beginnt bereits bei der Torhüterposition. Denn die geplante Nummer Eins Etienne Green musste bereits wegen zwei Platzverweisen jeweils zwei Spiele Sperre absitzen. Zu einer stabilen Defensive tragen ebenso wenig die vielen Wechsel in der Abwehrkette bei. Insbesondere auf den Außenverteidiger-Positionen gibt es in nahezu jedem Spiel ein neues Duo, das oftmals nicht auf dieser Position beheimatet ist. Darüber hinaus wechselt Trainer Batlles – nicht immer freiwillig – das Spielsystem, was zu einer fehlenden Stabilität in der Defensive führt.



Was macht noch Mut für St. Etienne?

Tabellenletzter nach 17 Spieltagen und bereits 6 Punkte Rückstand auf das rettende Ufer. Was macht den Fans des AS St. Etienne jetzt noch Mut auf den Klassenerhalt? Der Blick auf die Expected Points! Bildet man eine Tabelle auf Grundlage der Expected Goals (erwartbaren Tore anhand der Chancenqualität), so hätte St. Etienne rund 9 Punkte mehr verdient gehabt und stünde im Mittelfeld der Tabelle. Kurz gesagt: man spielt besser, als es die Tabelle aussagt.

Qualitäten im Spiel mit Ball

Das Spiel mit Ball der Mannschaft von Trainer Batlles zeigt, welche Qualitäten im wertvollsten Kader der Liga stecken.

An meiner Spielweise werde ich nichts ändern, aber defensiv müssen wir noch rigoroser werden.

– Trainer Batlles ist überzeugt von seiner Spielphilosophie

Der hohe Ballbesitzwert und die gute Passquote von 85% belegen die Fähigkeit, das gegnerische Team beherrschen zu können. Trotz der vielen Ballbesitzphasen zeigt man sich ballsicher und hat die fünftwenigsten Ballverluste der Liga zu verzeichnen. Zudem lassen nur Sochaux und Le Havre den Ball schneller durch die eigenen Reihen laufen. Dabei verzichtet man in der Regel auf lange Bälle oder Flanken, sondern sucht stets die spielerische Lösung. Im Angriffsspiel präsentiert man sich variabel und verfügt über eine gute Raumaufteilung. Kein Team der Ligue 2 spielt mehr linienbrechende und „tödliche“ Pässe, wodurch man immer wieder in die gefährlichen Halbräume kommt, um den letzten Pass hinter die Kette des Gegners zu spielen oder die Angreifer in offensive 1-gegen-1-Duelle (die meisten der Liga) zu schicken. In der Konsequenz kommen nur zwei Teams häufiger zum Abschluss. Obwohl der Trainer die Effizienz in der Offensive bemängelt, kann man mit 24 Toren aus 24 xG nicht von einer schlechten Chancenverwertung sprechen.

Mit mehr Disziplin zum Klassenerhalt?

Es gibt viele Dinge, die aktuell für einen Abstieg in die 3. Liga des AS St. Etienne sprechen. Allerdings gibt es mindestens genauso viele Gründe, die Hoffnung machen. Das Offensivspiel von ASSE ist keineswegs eines Ligue 2-Absteigers würdig, das Verhalten in der Defensive hingegen schon. Schlüssel zum Erfolg ist das Bändigen der Disziplinlosigkeit. Nicht nur, was das Kontrollieren der eigenen Emotionen oder das Verhalten in einem Zweikampf betrifft.

Ebenso wird es mehr Disziplin bei mannschaftstaktischen Aktionen brauchen, wie beispielweise dem Pressing. Zwar setzt nur Tabellenführer Le Havre den Gegner beim eigenen Spielaufbau früher als St. Etienne unter Druck. Jedoch geschieht das nicht immer geschlossen als Mannschaft, weshalb man die drittwenigsten Teampressings der Liga verzeichnet. Dies ist nur eines von vielen Beispielen, das dem Gegner in der Folge viele freie Räume gewährt.

Ich lass mir viele Dinge sagen, aber es ist keine Mannschaft, die sich hängen lässt!

– Trainer Batlles glaubt an den Einsatzwillen seiner Mannschaft

Schlussendlich bleibt festzuhalten: schafft es die Mannschaft von AS St. Etienne, sich in Zukunft mehr als disziplinierte Einheit zu präsentieren, dürfte angesichts der vorhandenen Qualität der Klassenerhalt alles andere als unrealistisch sein!

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Quellen:
wyscout.com
instat.com
transfermarkt.de
asse.fr
Supporterhéninois, Lens – Troyes (04-02-2020) 85, CC0 1.0

Co-Founder & Analyst bei ballorientiert

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